Finanzen

Zu den weltweiten Protesten gegen die Macht der Banken und zur Kritik des Raubtierkapitalismus:

Wahrscheinlich hat Joachim Gauck recht: Der antikapitalistische Occupy-Protest wird ebenso im Sande verlaufen wie schon andere kapitalismuskritische Äußerungen oder "Aufstände". Der Kapitalismus ist ein Wirtschaftssystem auf Konkurrenzbasis. Es spiegelt eine anthropologische Grundhaltung seit der Sesshaftigkeit. Und kaum jemand kann sich davon freisprechen. Dazu gehört das auch oft hemmungslose Streben nach Eigentum, Macht und Geld. Es bedürfte zu seiner Abschaffung einer radikalen mentalen Umkehr von uns allen, die ebenso unwahrscheinlich ist wie ein eierlegender Hahn. Wir werden bis zu einer möglichen Selbstauslöschung der Menschheit durch einen Atomkrieg oder der Blockade des Systems durch Ressourcenverschwendung, Umweltvergiftung und Schuldenüberlastung damit leben müssen. Die hemmungslose Gier einzugrenzen, durch Regeln zu bändigen, ist zweifellos notwendig, wie die jüngsten Daten zur CO{-2}-Emission zeigen. Dazu bedarf es jedoch Macht. Macht und Abhängigkeiten sind durch die Jahrhunderte gleich geblieben, auch wenn die Formen wechselten. Das gegenwärtige kapitalistisch geprägte Gesellschaftssystem ähnelt bei genauem Hinsehen dem Feudalsystem des Mittelalters. Damals wie heute gibt es "Monarchen", "Adelige", "Kirche" und "Hörige". Der Monarch des Mittelalters sind die anonymen Industrie-, Handels-, Finanz-, Kommunikations- und Energiekonzerne auf Aktienbasis. Sie bestimmen wie ihre "Adeligen", ihre Handlanger aus Manager (von lateinisch "manus" = Hand), Ingenieure, Computerspezialisten, Naturwissenschaftler und Juristen die Geschicke der "Hörigen". Diese sind die Mitarbeiter in den verschiedenen Unternehmen, da sie lohnabhängig sind. Auch Unternehmer des Mittelstands gehören in diese Gruppe, denn bei Insolvenz droht ihnen ebenso wie den Mitarbeitern die "Vogelfreiheit", der Absturz auf die Stufe der Sozialhilfeempfänger, damals empfing man Almosen. Die Unterhaltungsindustrie vertritt die Kirche des Mittelalters: Sie erzeugt schöne, ablenkende Versprechungen und predigt bequeme Anpassung. Viele glauben ihr. Und der Staat? Kapitalismus geht auch ohne Demokratie, wie China zeigt. Welchen Stellenwert hat die Demokratie hierzulande? Keinen entscheidenden, aber sie kann von den wahren Machtverhältnissen ablenken oder sie legitimieren. Michael Wilmes, Ralingen

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