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Thomas Plein schreibt per Mail: Warum gibt es schon wieder eine Diätenerhöhung, aber keinen flächendeckenden Mindestlohn? Lieber Herr Plein, das ist ganz einfach: Für die Erhöhung der Diäten findet sich flugs eine politische Mehrheit, für die Einführung des Mindestlohns nicht (zumindest nicht für alle Branchen und Berufe und schon gar nicht ohne schier endloses Gezänk und Gezerre). Das Zetermordio ist so sicher wie das Amen in der Kirche: Wenn die Abgeordneten sich anschicken, ihre Bezüge "anzupassen", schreit die gequälte Volksseele auf.

Seit zweieinhalbtausend Jahren, seit die Griechen die Demokratie austüftelten: Wer die athenische Volksversammlung besuchte, erhielt - ähnlich wie Geschworene des Scherbengerichts - eine Entschädigung, das Ekklesiastikon. Gut gedacht, weil nun Menschen aus unteren Klassen in der Politik mitmischen konnten, höchst umstritten, weil angeblich raffgierige Faulpelze profitierten. Notiz am Rande: Das griechische Wort díata (Diät) bezeichnet die richtige Lebensführung und Ernährung. Ein dickes Thema, mehr denn je in unserer Zeit: Nur wer sich dünne macht, erfüllt das Schönheitsideal. Millionen specken ab, oft mit Hilfe kostspieliger Diätpläne, und legen wieder zu. Zwei Kilo runter, zwei Kilo rauf. Der Jo-Jo-Effekt. Mit Schlankheitskuren haben die Diäten der Abgeordneten nichts zu tun. Das Wort stammt aus dem Lateinischen (dies = Tag, daraus entstanden: Tagegeld). Der Jo-Jo-Effekt hier: weit weg von der nächsten Wahl die Diäten puschen. Klar, das Volk wird zürnen (zwei Kilo Wut rauf), und bald wieder vergessen (zwei Kilo Wut runter). Die Parlamentarier legen selbst fest, wie viel sie verdienen, "für den Bürger durchschaubar" und "vor den Augen der Öffentlichkeit". So hat das Bundesverfassungsgericht 1975 entschieden. Aktuell geht es um ein Plus von zehn Prozent, auf etwas über 9000 Euro im Monat, Zulagen nicht gerechnet. Etwa das Niveau von Bundesrichtern. Deren Salär ist seit dem Diäten-Urteil in den Siebzigern stärker gestiegen als das der Parlamentarier. Der Abstand: knapp 1000 Euro. Die Volksvertreter verzichteten mehrmals, weil sie den Furor der Wähler fürchteten. Jetzt peitscht die GroKo die Diäten erhöhung durch. In der freien Wirtschaft handeln Arbeitgeber und Arbeitnehmer (= Tarifparteien) die Löhne und Gehälter aus. In guten Jahren gibt\'s mehr, in schlechten Jahren weniger. Bei den Diäten ist das anders. Die Bürger sind, nun ja, Arbeitgeber der Abgeordneten, haben bei deren Entlohnung aber nichts zu sagen. Ihr Kreuzchen auf dem Wahlzettel: für die Volksvertreter eine Lizenz zur Selbstbedienung? Bei der Gründung des Deutschen Reichs 1871 waren Diäten verpönt. Die Abgeordneten bekamen kein Geld. Lediglich eine Freifahrkarte der Bahn. Im Reichstag saßen: Reiche. Erst 1906 begann Deutschland, seine Parlamentarier zu bezahlen. Chancengleichheit, Unabhängigkeit - bis heute der Kern der Botschaft: "Die Alimentation ist so zu bemessen, dass sie auch für den, der [...] kein Einkommen aus einem Beruf hat, aber auch für den, der infolge des Mandats Berufseinkommen ganz oder teilweise verliert, eine Lebensführung gestattet, die der Bedeutung des Amtes angemessen ist." (O-Ton Bundesverfassungsgericht, das Abgeordnete zu Profi-Politikern auf Zeit erklärte.) Rechtfertigt die "Bedeutung des Amtes" auch eine üppige Altersversorgung? Und ein paar andere Privilegien? In Zukunft, nach der Zehn-Prozent-Sause, sollen die Diäten an die Entwicklung der Lohnsumme aller Beschäftigten gekoppelt werden. Das versprechen die Naschkatzen der GroKo. Eines Tages … wenn der Mindestlohn durch ist. Herzliche Grüße! Peter Reinhart, stellvertretender Chefredakteur E-Mail: forum@volksfreund.de Mehr Kolumnen im Internet: http://forum.blog.volksfreund.de

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