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Irene Heinen aus Fell schreibt: Seit 1967 beziehen wir unsere Heimatzeitung. Ich habe mich früher immer riesig gefreut, wenn ich sofort nach dem Aufstehen meinen Fortsetzungsroman lesen durfte.

Den gibt es heute nicht mehr. So viel lese ich von Krimis aus der Eifel und anderswo. Der Fortsetzungsroman aber fehlt. Dabei braucht doch nicht jeder die ausführlichen Berichte über Sport und andere Sachen! Liebe Frau Heinen, vielen Dank für Ihre Zeilen. Der Abschied von liebgewonnenen Gewohnheiten ist immer schmerzlich. Plötzlich fehlt etwas, das uns erfreut, verzaubert, entzückt hat. Und es ist normal, dass wir es vermissen, manchmal noch Jahre, nachdem es verschwunden ist. Aber: So ist der Lauf der Welt. Die Zeiten ändern sich, und wir ändern uns in ihnen. Der Fortsetzungsroman ist ein Relikt aus einer Epoche der Medien, die zu Ende geht. Hie und da entdeckt man die Häppchen-Literatur noch, wie Dinosaurier, die sich in die Moderne verirrt haben. Im Volksfreund und vielen anderen Blättern jedoch seit langem nicht mehr. Warum? Wichtigster Grund: Die Nachfrage schrumpft zusehends. Wir wissen, dass sich zuletzt zwei bis drei Prozent der Leser für den Roman interessiert haben - so wenige wie für keinen anderen Teil der Zeitung, mit weitem Abstand. Gleichzeitig steigt der Wunsch nach neuen Elementen, nach noch mehr lokalen und regionalen Nachrichten, nach noch mehr Kultur und Wissen. Das eine tun, das andere nicht lassen? Schön wär\'s! Der Platz in der Zeitung ist begrenzt, es passt nur eine bestimmte Menge an Inhalten hinein. Wenn also Neues hinzukommt (große Nachfrage), muss irgendwann Altes weg (geringe Nachfrage). Als erster bedeutender Presseroman gilt "Robinson Crusoe" von Daniel Defoe, in den Jahren 1719/20 in The Original London Post abgedruckt. Folge für Folge. Eine geniale Geschäftsidee: große Literatur in kleinen Portionen, verkauft als Tatsachenbericht. Das Publikum jubelt, verlangt mehr süffige Ware, und alsbald ist das Format in ganz Europa populär. Abenteuerromane, Liebesromane, Feuilletonromane, die Nachfrage ist gigantisch. "Oliver Twist", "Der Graf von Monte Christo", "Pinocchio", "Der Schatz im Silbersee" - allesamt Bestseller. In den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts gibt es in Deutschland mehr als 3000 Tageszeitungen (allein 140 in Berlin) mit einem Bedarf von 20 000 Romanen jährlich, oft eigens für die Blätter produziert. Besonderes Kennzeichen: der Spannungsbogen zum Schluss. Und er küsste sie auf den … - Fortsetzung folgt. Heute begnügen sich die (meisten) Leser nicht mehr mit kleinen Rationen. Und die (meisten) Schriftsteller halten den klassischen Zeitungsroman für überholt. Manche experimentieren stattdessen mit neuen Medien. Mal schreibt einer im sozialen Netzwerk Facebook, mal versucht sich einer mit elektronischen Büchern. Und die Japaner sind angeblich ganz wild auf Handy-Romane, sogenannte "mobairu shousetsu" oder "keitai shousetsu". Zum Serientäter schlechthin ist längst das Fernsehen geworden. Fortsetzungsgeschichten auf allen Kanälen, in endlosen Schleifen. Die Zeiten ändern sich. Herzliche Grüße! Peter Reinhart, stellvertretender Chefredakteur E-Mail: forum@volksfreund.de Die Kolumnen im Internet: http://forum.blog.volksfreund.de

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