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Herr S. aus G.

(Name und Anschrift bekannt) schreibt: Das allgemeine Erstaunen über den Rechtsterrorismus hat mich so bitter gemacht, dass ich Ihnen dazu einen Leserbrief schicke. Wenn möglich, bitte ich, ausnahmsweise meinen Namen nicht zu nennen, da ich vor einigen Jahren nach einem Leserbrief zum Thema "Juden als Täter" einen kurzen, unschönen anonymen Anruf erhielt: "Sind Sie Deutscher? Für mich sind Sie ein Judenschwein!" Auch vom Alter her bin ich kaum in der Lage, mich eines Angriffs mit Baseballschlägern zu erwehren. Als Zehn- bis Zwölfjähriger "durfte" ich die letzten Zuckungen des "Tausendjährigen Reichs" mit erleiden. Was war ich so stolz auf meine "Pimpfenuniform" ("Ehrenkleid"!). Was haben wir begeistert gegrölt: "Es zittern die morschen Knochen der Welt vor dem großen Krieg. Sie kommen zitternd gekrochen. Für uns war\'s ein großer Sieg. Wir werden weiter marschieren, wenn alles in Scherben fällt. Heute [ge-] hört uns Deutschland und morgen die ganze Welt." (Aus dem Gedächtnis zitiert). Und dann war alles in Scherben gefallen, das "heilig Vaterland" und alles, was wir glühend verehrten. Der Führer und seine "getreuen Paladine" hatten sich per Selbstmord feige aus dem Staub gemacht und uns dem Elend überlassen, weil wir - so Joseph Goebbels oder Hitler selbst - seiner nicht wert waren! Ich verstehe nicht, wie man heute den Scharlatan aus Braun au wieder aus der Versenkung hervorholen und in seinem Namen Terror ausüben kann. Und wenn zum Beispiel ein (dem Namen nach) Slawe Vorsitzender eines Ortsvereins der NPD sein kann, dann prophezeie ich diesem Herrn das Schicksal aller "Beutegermanen" der letzten Kriegsjahre: Er wäre nach einer "Machtergreifung" seiner "Kameraden" die längste Zeit Ortsvereinsvorsitzender gewesen und dürfte in Zukunft den Stiefelknecht für die neue "Herrenrasse" spielen und zusehen, wie Deutschland endgültig zum Teufel geht. Unseren Politikern wünsche ich offene Augen auch in Richtung rechts und nicht nur nach links oder zum islamistischen Terror! Lieber Herr S., vielen Dank für Ihre Zuschrift. Ich habe Verständnis für Ihren Wunsch, anonym zu bleiben. Ohne Angabe von Name und Wohnort kann ich Ihren Leserbrief jedoch nicht abdrucken. Die Spielregeln sind für alle gleich. Dass feige Fieslinge Sie am Telefon beschimpfen, ist nicht nur unangenehm, sondern ein Fall für die Justiz. Es kommt vor, dass Schwachmaten ihr Mütchen kühlen, indem sie andere bedrohen und beleidigen, ohne sich zu bekennen. Dazu reicht es bei solch intellektuell niederflurigen Finsterlingen nicht. Die Neonazi-Affäre hat gezeigt, dass der braune Voodoozauber noch immer viele Hirne verwirrt. Und offenkundig nicht nur Worttäter vom Schlage mancher NPD-Demagogen hervorbringt, sondern auch Terroristen. Eiskalte Attentäter, die eine Blutspur durchs Land ziehen und wahllos Menschen erschießen. Acht Türken, einen Griechen, eine Polizistin. Alle brutal hingerichtet. Mutmaßliches Motiv: Ausländerhass und Rassenwahn. Politiker, Polizisten, Verfassungsschützer haben das Neonazi-Problem unterschätzt. Niemand kam auf die Idee, das Killerkommando mit der rechten Szene in Verbindung zu bringen. Auch die Medien nicht. Vor viereinhalb Jahren berichtete der Volksfreund über die mögliche Verstrickung der Schlapphüte in die unheimliche Todesserie: "Agent unter Verdacht", lautete die Überschrift. Rechter Terror? Kein Thema. Später ist über Verbindungen zur "Wettmafia" spekuliert worden. In anderen Blättern war von der "Halbmond-Mafia" die Rede. Von Racheakten in der türkischen Parallelgesellschaft. Von Schutzgelderpressung. Von Drogengeschäften. Von organisierter Kriminalität. Rechter Terror? Kein Thema. Stattdessen immer wieder ein Schlagwort, im Volksfreund wie in der Frankfurter Allgemeinen, der Süddeutschen, der Zeit oder im Spiegel: "Döner-Morde". Heute ist der Begriff allen Journalisten peinlich, er steht auf der Vorschlagsliste zum "Unwort des Jahres". Weil er zynisch und menschenverachtend ist. Das fiel freilich erst auf, als sich herausstellte, dass Neonazis am Werk waren. Vorher nicht. Vorher wunderte sich niemand, dass eine Soko mit dem Namen "Bosporus" nach den Gangstern fahndete. Dass alle, Ermittler wie Medienleute, ständig von "Döner-Morden" plapperten. Nur zwei der Getöteten verkauften Döner, andere arbeiteten als Schneider, Gemüsehändler, bei einem Schlüsseldienst. Döner = Türke. Der Vergleich bedient die Vorurteile und Vorbehalte, die angeblich jeder dritte Deutsche hegt: Die machen immer nur Ärger, diese kriminellen Ausländer und Sozialschmarotzer ... Mal davon abgesehen, dass die "Döner-Morde" ein grammatikalischer Unfug sind, ebenso die "Döner-Killer", die der Bayerische Rundfunk gesichtet haben will. Döner morden nicht, Döner killen nicht.Und umgekehrt. Sie werden nicht ermordet, gekillt. Jemand fragte dieser Tage, was türkische Medien wohl schrieben, wenn Deutsche in Istanbul umgebracht würden. "Sauerkraut-Morde"? Der Aufschrei hierzulande wäre lauter als die sieben Donner der Offenbarung. Die Sprache ist gleichsam der Leib des Denkens, sagt der Philosoph Hegel. Sie bestimmt das Bewusstsein, und aus dem Bewusstsein, aus dem Denken, entstehen Taten. Unbedacht verwendete Wörter sind gefährlich. Sie diskriminieren, sie demütigen, sie verletzen - wie Waffen. Der Staat und die Medien haben sich in der Neonazi-Affäre nicht mit Ruhm bekleckert. Umso wichtiger ist es, die Machenschaften der braunen Volksverhetzer aufzuklären, zu erklären und sich zu wehren: Arsch huh, Zäng ussenander (Hintern hoch, Zähne auseinander) - das Motto der Kölner Künstler gegen rechte Gewalt ist aktuell wie eh und je. Nicht wegschauen! Nicht schweigen! Meinung sagen! Herzliche Grüße! Peter Reinhart, stellvertretender Chefredakteur Lob, Kritik, Anregungen? E-Mail: forum@volksfreund.de Die Kolumnen im Internet: http://forum.blog.volksfreund.de

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