Leserbriefe Fünf Gründe, warum das Ding wegmuss

Zum Artikel „,Hitler-Glocke’ bleibt – Zentralrat der Juden entsetzt“ (TV vom 28. Februar) schreibt Otto Freiherr Hiller von Gaertringen:

 Geläut mit Haken: Die umstrittene „Hitler-Glocke“ in der protestantischen Jakobskirche von Herxheim bleibt hängen, sagt der Gemeinderat.

Geläut mit Haken: Die umstrittene „Hitler-Glocke“ in der protestantischen Jakobskirche von Herxheim bleibt hängen, sagt der Gemeinderat.

Foto: dpa/Uwe Anspach

Nicht ohne Befremden kann man die Vorgänge um die „Hitler-Glocke“ zur Kenntnis nehmen, die der TV dankenswerterweise ausführlich darstellt. Ich möchte fünf Gründe nennen, warum man dieses Objekt bald entfernen sollte:

1. Auf der Glocke steht zu lesen: „Alles für’s Vaterland – Adolf Hitler“. Ganz gleich, ob man 9 n. Chr., 936 n. Chr. oder später oder noch früher als den eigentlichen Beginn Deutschlands ansieht, zu keinem Zeitpunkt dieser langen Zeit – bis hin zu Hitler – hat irgendjemand der Welt und auch dem „Vaterland“ so Schreckliches angetan wie Adolf Hitler. Die Glocke ist eine Herabwürdigung des nationalen Widerstands – von Teilen der SPD bis hin zu Goerdeler, Stauffenberg, Tresckow und anderen.

2. Wie der Neuen Zürcher Zeitung (Ausgabe vom 1. März) zu entnehmen ist, wird diese Glocke bei Taufen und Hochzeiten geläutet. Man stelle sich vor: Jedes Mal, wenn unten im Kirchenschiff ein Säugling in die christliche Gemeinschaft aufgenommen wird, jedes Mal, wenn ein Brautpaar sich entschließt, gemeinsam für seinen weiteren Lebensweg Gottes Segen zu suchen, schwingt ein Hakenkreuz hoch droben im Glockenturm hin und her. Seit dem allgemeinen Bekanntwerden dieser Tatsache ist es nicht mehr möglich, in die Unschuld des Unwissens darüber zurückzufallen. Die Vorstellung von dem, was sich demnach bei jeder Taufe und jeder Hochzeit in Zukunft ganz oben und ganz unten im Kirchenraum ereignet, hat durchaus etwas Groteskes oder sogar Makabres – für Stephen-King-Effekte ist die Angelegenheit zu ernst.

3. Eine solche Glocke in einer christlichen Kirche wird nicht der Würde derjenigen Widerstandskämpfer gegen Hitler gerecht, deren Opfergang vorwiegend oder ausschließlich aus christlichen Beweggründen stattfand. Die Reihe, die man hier anfügen müsste, ist fast endlos, vor allem, wenn man sich nicht auf Bürger deutscher Staatsangehörigkeit beschränkt. Ich nenne, da es sich bei der Jakobskirche um eine evangelische Kirche handelt, hier nur einen einzigen Namen, der jedermann bekannt ist: Dietrich Bonhoeffer. Ein Hakenkreuz in einem christlichen Gotteshaus ist im Allgemeinen und in einer Kirche der Konfession Bonhoeffers im Besonderen unangebracht.

4. Für alle diejenigen, die jüdischer Herkunft sind, wie der Verfasser dieser Zeilen, wäre es gerade in der Zeit, in der wir leben, nicht nur beängstigend, sondern alarmierend, wenn diese Glocke hängen bliebe. Trotz gewisser Rückschläge, die man auch in Deutschland hin und wieder erleben muss, könnte man bis vor kurzem den Eindruck gewinnen, dass der Antisemitismus zwar nicht völlig ausgetrieben, aber doch in rasantem Schwinden begriffen ist. Wird der durch Import wieder stark zunehmende Antisemitismus in Deutschland eine gewisse einheimische Entsprechung weiterhin in den Kirchenglocken von Herxheim finden? Herxheim, vielleicht als ein zukünftiger Pilgerort für einen neuen bikulturellen oder bald gar einen neuen monokulturellen Antisemitismus? Welch eine Vision! Das sollten wir uns ersparen.

5. Die Aktionen und Kommentare der an den Vorgängen Beteiligten sind ebenfalls irritierend. Wozu brauchen wir ein Gutachten, wenn die Dinge so klar auf der Hand liegen? Die ritualisierten Phrasen („Anstoß zur Versöhnung“, „aufgeklärte Erinnerungskultur“) wirken eher hilflos, ratlos und handlungsgelähmt. Am allerwenigsten zieht das Krämerseelen-Argument, eine neue Glocke sei zu teuer. Die besagte, im hellen C gestimmte Glocke ist die kleinste der drei Klangkörper der Jakobskirche. Wie viel Geld verschwenden die Kirchen, wie viel Geld verschwendet der Staat täglich für nicht nur völlig sinnlose, sondern absolut schädliche Projekte? Das ist kein Populismus. Der Bund der Steuerzahler gibt regelmäßig einen gewissen Eindruck, was mit Steuergeldern  geschieht. Verglichen damit sind die Kosten für eine neue dritte Glocke ein Nichts. Im Mai feiert der Staat Israel den 70. Jahrestag seiner Neugründung. Ein weiterer Grund, die Glocke schleunigst durch eine andere zu ersetzen!

Otto Freiherr Hiller von Gaertringen, Bitburg

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