Geschichte

Zum Artikel "Ich war einer von euch" (TV vom 6./7. Juni):

Die Vorstellung der prämierten Facharbeit von Felix Hufschmidt, Abiturient des Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasiums Schweich, kann Informationslücken zu dem ehemaligen Reichsführer der Hitlerjugend (HJ), Baldur von Schirach, und dessen letzten Lebensjahren in Kröv an der Mosel schließen. Notwendig erscheinen jedoch einige historische Korrekturen, hier bezogen auf den Beitrag im "Wochenend-Journal" des Trierischen Volksfreunds. Baldur von Schirach war seit dem 8. August 1940 NSDAP-Gauleiter und Reichsstatthalter in Wien. In dieser Funktion ist er mitverantwortlich für die Deportation der noch verbliebenen 60 000 Wiener Juden (nicht von "185 000 österreichischen Juden") in die Ghettos des Ostens und deren nachfolgender Ermordung in den deutschen Todeslagern. Für das Verheizen Tausender Hitlerjungen an der "Heimatfront" ("letztes Aufgebot") war in erster Linie Schirachs Nachfolger als Reichsjugendführer, Artur Axmann, verantwortlich. Die Tatsache, dass Schirach seine letzten Lebensjahre in Kröv verbracht hat, lässt sich ebenfalls noch eindeutiger erklären. Eine ehemalige BDM-Führerin aus Kröv hat den NS-Verbrecher offenbar gezielt in den Moselort gerufen, um dem alten Idol - zusammen mit ihrer Schwester - einen ruhigen Lebensabend im Hotel "Mont royal" zu bereiten. Ob man sich für den prominenten Gast in Kröv wirklich so wenig "interessiert" hat, wie von Kröver Bürgern gern behauptet, bedürfte zumindest einer näheren Klärung. Statt über den Sinn der gar nicht so rätselhaften Grabstein inschrift ("Ich war einer von euch") weiter zu spekulieren, sollten die noch lebenden Angehörigen der Schirach-Familie und die Verantwortlichen der Gemeinde Kröv sich lieber dafür entscheiden, nach längst abgelaufener Ruhezeit das Schirach-Grab endlich einzuebnen. Historische Bedeutung kommt dieser Grabstätte nicht zu, und um ein "Ehrengrab" mit Bestandsprivileg kann es sich wohl nicht handeln. Der Hitler schon früh ergebene NS-Propagandist und Parteikarrierist konnte in Nürnberg mit einem taktischen Schuld eingeständnis seinen Kopf in letzter Minute aus der Schlinge ziehen. Schirachs in sich unsinnige Übernahme von Schuld und Verantwortung der deutschen Jugend für die Ereignisse und Verbrechen der Jahre 1933 bis 1945 lenkte vor allem von seiner eigenen Verantwortung ab und verhinderte zudem, dass über die wirkliche Mitverantwortung zumindest von vielen älteren HJ-Mitgliedern (etwa als Mitglieder der SS) an den Verbrechen gegen die Menschlichkeit ernsthaft diskutiert wurde. Nicht wenige beriefen sich nach dem Krieg direkt auf Schirachs "Schuldübernahme" und billigten der HJ undifferenziert einen generellen, aber historisch problematischen "Opfer"-Status zu. Nicht nur in Kröv scheinen noch allzu viele Schirachs wirkliche Rolle im NS-Verfolgungs- und Massenmordsystem zu bagatellisieren - frei nach dem Motto: Wenn man ihn in Nürnberg nicht gehenkt hat, kann er nicht so schlimm gewesen sein! Auch deshalb sollte Schirachs Grab verschwinden, damit es nicht (länger) als "Pilgerstätte" für alte und junge Nazis dienen kann. Franz-Josef Schmit, Wittlich

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