Gesellschaft

Zur Berichterstattung über die Flüchtlingskrise, insbesondere zu den Ursachen des Elends und zum Foto des ertrunkenen dreijährigen syrischen Jungen Aylan diese Meinungen:

Jedem noch so einfachen Gemüt müsste es das Herz zerreißen beim Anblick der Bilder von den Küsten Südeuropas und des Mittelmeers. Mit menschenverachtender Ignoranz und Intoleranz wird an Stammtischen und bei Talkrunden gequasselt. Niemand kommt auf den Gedanken, dass wir, die Europäer, es waren und sind, die zur Verelendung ganzer Kontinente beigetragen haben. Wichtige Rohstoffe aus Armutsstaaten landen auf unseren Werkbänken. Es gibt kein Kleidungsstück in den Auslagen der Läden, welches nicht in den Blechbuden - ohne Toiletten, Waschbecken - für Lohnpfennige hergestellt wird. An den Küsten von Afrika fischen die Europäer die Gründe leer. Erdöl-Multis verseuchen Areale so groß wie die Bundesrepublik, damit wir heizen und Auto fahren können. Rosen werden gezüchtet mit Wasser und gedüngt mit dem Ergebnis, dass die einheimische Bevölkerung kilometerweit laufen muss, um eine Suppe zu kochen. Exotische Obstsorten findet man auf unseren Tischen, die ähnlich aufgezüchtet werden, ebenso Kaffee und Kakao. Ursache und Wirkung ist keine Zauberformel. In realistischer Einschätzung müssten wir uns eingestehen, dass unser Wohlstand auf der Armut dieser Menschen beruht. Ein Wort von Bertolt Brecht: "Reicher Mann, warum bist du so reich?" Der reiche Mann entgegnete: "Weil du so arm bist." Was wollen wir eigentlich? Wollen wir, dass die Menschen sich auf den Weg zu uns machen? Nein. Wollen wir weiter so leben, wie bisher? Dann müssen wir die Leute ins Land lassen und ihnen Obdach gewähren. Wollen wir all das nicht, dann müssten wir uns aus den anderen Teilen der Welt verabschieden und uns selbst versorgen. Auch das wollen wir nicht. Wir wollen weiter Waffen und Gewehre verkaufen, damit das Elend dieser Welt noch größer wird? Was wir wirklich wollen, wissen wir nicht. Ich auch nicht. René Schenten, Trier Es ist zum Heulen! Seit ich das Bild des dreijährigen Aylan gesehen habe, lässt es mir keine Ruhe mehr. Auf den ersten Blick sieht vielleicht alles noch ganz friedlich aus: Auf dem einen Bild erinnert er mich an meinen etwa gleichaltrigen Sohn, wenn er nach dem Spielen und Toben abends völlig erschöpft in seinem Bettchen liegt und friedlich schläft. Spätestens auf den zweiten Blick oder wenn man die Szene aus einem anderen Blickwinkel sieht, wird aber klar: Der Junge hier schläft nicht. Er ist tot. Angespült an den Strand von Bodrum in der Türkei, jämmerlich ertrunken im Mittelmeer, auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg in seiner Heimat. Er hatte keine Chance. Sein Leben ist vorbei, bevor es richtig begonnen hat. Wahrscheinlich können wir uns nicht mal im Entferntesten vorstellen, welch entsetzliches Leid dieses Kind in den letzten Tagen und Stunden seines kurzen Lebens durchmachen musste. Mir ist zum Heulen zumute. Das alles passiert unmittelbar vor unserer europäischen Haustür. Wie können wir nur so etwas zulassen? Wie können wir nur dasitzen und nichts tun? Im Juli 2015 wurde der 94-jährige Oskar Gröning vom Landgericht Lüneburg im Namen des Volkes wegen Beihilfe zum Mord in 300 000 Fällen zu vier Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Er war als 21-Jähriger in Auschwitz für die "Verwaltung" der Wertgegenstände der dort umgebrachten Menschen zuständig und wohnte an der Rampe der Selektion der Insassen bei. Er wurde verurteilt, weil er wusste, was dort geschah und nichts dagegen unternahm. Heute stehen wir, 510 Millionen reiche, satte Europäer, auf der "Rampe": Wir sehen jeden Abend im Fernsehen, wie Männer, Frauen und Kinder vor unserer Haustür ertrinken oder in luftdicht verschlossenen LKW ersticken. Menschen, die auf der Flucht sind vor entsetzlichen, unfassbaren Gräueltaten im Irak, in Syrien und Libyen, verübt von offenbar völlig wahnsinnigen religiösen Fanatikern. Fanatiker, die auch deshalb an die Macht gekommen sind, weil die ach so zivilisierte westliche Welt, angeführt von der gleichermaßen arroganten wie dummen "Supermacht", meinte, in diesen Ländern ihre Interessen durchsetzen und diese Menschen mit den Segnungen der westlichen Demokratie beglücken zu müssen. Gibt's eigentlich einen Unterschied zwischen Oskar Grönings Verhalten damals und unserem heute? Oh ja, den gibt es! Gröning war zwölf Jahre alt, als Hitler 1933 an die Macht kam, und war in der Folgezeit der Indoktrination der Nazis in Schule und HJ ausgesetzt. Selbst wenn er nach all dem in der Lage gewesen ist, als 21-Jähriger an der Rampe in Auschwitz zu erkennen, dass da ungeheuerliche Verbrechen ablaufen, so hatte er doch ehrlicherweise kaum eine andere Wahl als mitzumachen, wollte er nicht sein eigenes Leben aufs Spiel setzen. Wäre er damals einfach weggelaufen, hätte man ihn früher oder später erwischt und standrechtlich erschossen. Wir dagegen sind in einem freiheitlich-demokratischen System groß geworden, wir haben die Wahl. Hinter uns steht keiner und hält uns eine Waffe an den Kopf. Uns hindert niemand daran, zu helfen und menschlich zu sein. Aber wir sitzen da in unseren gemütlichen Wohnzimmern und schauen weiter zu, wie jeden Tag Menschen direkt vor unserer Haustür krepieren, wegen eines Konflikts, an dem wir zumindest nicht ganz unschuldig sind. Wenn Oskar Gröning der Beihilfe zum Mord schuldig ist, sind wir es dann nicht umso mehr? Ja, wir können nicht alle Probleme diese Welt lösen, aber wir können doch zumindest einmal vor unserer Haustür anfangen und das Naheliegende tun. Wenn wir schon nicht in der Lage sind, die Verhältnisse in den Heimatländern so zu beeinflussen, dass diese Menschen dort in Sicherheit leben können, wäre es dann nicht das Mindeste, denen, die aus dieser Hölle auf Erden fliehen konnten, eine Zuflucht zu bieten, sie in Sicherheit zu bringen? Dem kleinen Aylan hilft das leider nicht mehr. Man kann nur hoffen, dass er jetzt an einem Ort ist, an dem es ihm besser geht. Er tut mir unendlich leid. Und ich fühle mich irgendwie mitschuldig. Christian Schwarz, Newel Bei dem Bild von diesem kleinen unschuldigen Jungen hätte ich laut schreien können, und dann sieht und hört man, wie erbärmlich, unfähig, gefühllos sich die Regierungen/Regierungschefs des "christlichen Abendlandes" verhalten. Ich frage mich: Wo sind die Menschenrechte, auf die man so pocht, wenn es um andere Länder geht? Dann die vielen Meinungen in Deutschland, wobei ich einige verstehen kann, denn wenn bei uns die Altersarmut stark ausgeprägt ist mit steigender Tendenz oder generell immer mehr Menschen in Armut geraten, sich die Wohnungen nicht mehr leisten können, man könnte noch weiter machen, aber da ist ja die Merkel: "Uns geht es gut." Dass diese Menschen Angst haben, sollte jeder verstehen. Ich glaube aber nicht, dass gerade sie für die Flüchtlinge eine Gefahr bedeuten. Unsere mächtigste Frau sollte trotz der schlimmen Lage ihr Volk nicht vergessen. Ich glaube, dass das Flüchtlingsproblem nur mit Hilfe der ganzen westlichen und islamischen Welt zu lösen sein wird. Habt ihr alle das Bild von dem kleinen Jungen gesehen? Man sollte es den Verantwortlichen auf der ganzen Welt 24 Stunden vor das Gesicht halten, vor ihren Haustüren auf Großleinwand präsentieren! Wo sind denn jetzt die Weltretter, die gottesfürchtigen Amis, die Regierungschefs des christlichen Abendlandes, alle in Deckung. Wann höre ich den Papst, jeden Tag müssten er und alle Kardinäle und Bischöfe aufschreien, all die Gläubigen, ob Moslems oder Christen oder andere Religionen. Wie wäre es, wenn man für Afrika einen Marshallplan aufstellen würde, mit allen Mitteln den Nahen Osten befrieden? Reinhold Ritter, Irsch Wir müssen zuerst Leben retten. Das Asylrecht, welches ein Kernstück unserer Gesellschaftsordnung bleiben muss, ist ausschließlich für Menschen vorgesehen, deren Leben in Gefahr ist. Wenn das Leben nicht in Gefahr ist, dann kann eine verbale Inanspruchnahme dieses Rechtes nur als Missbrauch bezeichnet werden. Wenn wirtschaftliche Gründe vorliegen oder höchstwahrscheinlich sind, dann nehmen diese Menschen den existenziell Lebensbedrohten ihre Rettungsmöglichkeiten. Für mich ist es moralisch äußerst verwerflich, wenn ich einem mit dem Tod bedrohten Menschen sein Asylrecht faktisch unmöglich mache, indem ich seinen Platz einnehme. Fazit: Die "Wirtschaftsflüchtlinge" sind eine große Gefahr für die Asylbedürftigen. Wir müssen dringend trennen, wer nur mit unserer Zustimmung bei uns leben darf (Einwanderung) und wer uns als schutzbefohlen dringend braucht, um sein Leben nicht zu verlieren. Wir müssen die Asylbewerber schützen, das ist unsere wichtigste Aufgabe. Danach erst oder besser parallel geordneten Zuzug ermöglichen. Zuerst aber Leben retten! Hans-Georg Becker, Schweich Schockierende Bilder erreichen uns jeden Tag. Sie zeigen uns in aller Härte, was Krieg und Vertreibung mit Menschen machen. Hier in Europa und besonders in Deutschland sehen sie ihre einzige Chance, sich ein halbwegs menschenwürdiges Leben neu aufzubauen. Bei allen Unwägbarkeiten, die der große Andrang an Flüchtenden mit sich bringt; für uns Deutsche gilt §1 des Grundgesetzes: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Nicht ohne Grund steht dieser Satz ganz am Anfang unserer Verfassung. Er soll sicherstellen, dass verfolgte, misshandelte und vertriebene Menschen sich der Solidarität unseres Volkes sicher sein können. Dass ihnen in ihrer schrecklichen Not geholfen wird. Bei aller dummen und gefährlichen Hetze, die von einigen wenigen betrieben wird, stelle ich mit Erleichterung fest, dass der ganz große Anteil der Deutschen den ersten Verfassungsparagrafen ernst nimmt. Desto erschrockener bin ich über das Bild, das uns die östlichen Euroländer nun zeigen. Besonders Polen und Ungarn zeigen eine Härte, die einen schaudern lässt. Dabei setzen die Staatenlenker auf den vermeintlichen Mainstream in ihrem Land. Ist das wirklich so? Sind die Ungarn und die Polen völlig frei von Empathie und Verständnis für die unsagbar schlimme Situation der hilfesuchenden Menschen? Ich mag das nicht glauben. 1980 bildeten mutige Polen die erste freie und sehr wirkmächtige Gewerkschaft im damaligen Ostblock. Sie bekamen starke Unterstützung aus den westlichen Staaten, besonders aus Amerika und Deutschland. Ein Landsmann, der inzwischen Papst geworden war, leistete unschätzbare Dienste, damit Polen wieder ein freies Land wurde. Es war Johannes Paul II. Die Polen sind stolz darauf, dass dieser Mann heiliggesprochen wurde. Denken sie aber auch darüber nach, wie er sich heute zum Drama der Verfolgten stellen würde? Mit Sicherheit hätte er niemals gesagt: "Macht Eure Türen zu, schließt alle Tore Eures Landes, damit Ihr diesen Menschen nicht helfen müsst!" Genau das Gegenteil wäre seine Botschaft gewesen. Und vielleicht hätte er sie an ihr eigenes Schicksal erinnert, als es galt, weltweit Unterstützung für ihren Kampf um die Freiheit zu bekommen. Die Gewerkschaft, die damals so mutig und aufopferungsvoll kämpfte, hatte sich einen Namen gegeben, der auch Programm war: Solidarnosc - Solidarität. Was bloß ist daraus geworden? Peter Trauden, Heilbach

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