Gesellschaft
Zur Berichterstattung und zu Leserbriefen über die Bundestagswahl diese Zuschrift:
"Was hab\' ich mit Politik zu tun?", fragte mich vor Jahren meine Tochter, das sei langweilig. "Mich betrifft das doch eh\' alles nicht, und die Politbonzen machen doch, was sie wollen!" "Ja, willst du denn, dass ich alles bestimme und du nix zu melden hast? Oder steckst du alles ein, was deine Schwester in eurem gemeinsamen Zimmer regelt?" Nein, das wollte sie nicht. Sie wollte dazu ihre Meinung sagen und ernst genommen werden. "Siehst du, das ist Politik! Du hast deine eigenen Wünsche und Bedürfnisse, und du musst sie frei äußern können und dafür kämpfen und eintreten dürfen. Deine Stimme muss genau so viel Gewicht haben, wie die der anderen - in der Familie, in der Schule, im Verein, in der Stadt und im Land! Alles, was du tust, was andere tun, ist ein Beitrag zum Miteinanderleben. Wenn nicht alle den Mund auftun und miteinander reden, dann gehen ihre Anliegen einfach verloren. Du bringst Dich ein in der Familie, sogar als Klassensprecherin in der Schule, warum nicht auch in unserem Land. Wenn du dich nicht um die Zukunft kümmerst, in der du künftig leben willst, dann tun das wirklich andere!" Und ja, sie hat das verstanden. Sie hat eine eigene Meinung - nicht nur, wenn\'s um ihre Anziehsachen geht, sondern auch um ihre Bildungschancen, die Berufswahl, Kulturelles, Freizeit, Pflichten der Gemeinschaft gegenüber genauso wie zu Rechten, die sie für sich haben will. Und ihr ist es nicht egal, ob ihr Freund in den Krieg geschickt wird oder Konflikte mit Diplomatie gemeistert werden. Mittlerweile ist sie eine erwachsene Frau und steht im Beruf. Sie zahlt Steuern und Abgaben, befasst sich mit Themen wie Karriere, Kinder und Kaufkraft oder Umwelt, Energie und Wirtschaft. Und sie sagt dazu nicht nur ihre Meinung, sie engagiert sich, und sie überlässt es nicht "denen da oben", über ihren Kopf hinweg zu entscheiden: Sie hat die Wahl, das zu tun, was Politik tut. Sie muss Kompromisse machen und ihre Vorstellungen vom Leben in der Gemeinschaft mit den Programmen der Parteien abgleichen (zum Beispiel Wahl-O-Mat). Sie geht zur Wahl und macht ihr(e) Kreuz(e) genau bei der Person und Partei, die ihrer Meinung am Nächsten kommt. Warum erzähle ich das? Weil das Wahlrecht keine Selbstverständlichkeit ist, sondern eine Errungenschaft, für die wir Deutsche genauso gekämpft haben wie heute die Ägypter, Iraner, Syrier, Afghanen, Kongolesen und viele andere. Wir schicken unsere Soldaten und Fachleute zum Teil dorthin, um allgemeine, freie, gleiche und geheime Wahlen ermöglichen zu helfen. Viele haben dabei ihr Leben nicht nur riskiert, sondern verloren. Und Sie? Sie dürfen wählen und wollen nicht? Kann ich mir nicht vorstellen! Ihr Wahllokal ist nur wenige Minuten entfernt, und dort stehen keine bewaffneten Guerillas, die Sie daran hindern, Ihre Stimme frei und selbstbestimmt abzugeben. Sie müssen nur so "erwachsen" sein, Ihre Meinung mit zwei Kreuzen kundzutun. Bitte tun Sie es! Enthaltung ist keine Form von Protest! Knut Wichmann sr., Gerolstein