Gesellschaft

Zum Artikel "Werden Babys nach Gentest einfach aussortiert" (TV vom 6. Juli):

In dem Artikel wird Herr Hüppe, Behindertenbeauftragter der Bundesregierung, zitiert, der fordert, den Bluttest bei der werdenden Mutter zu verbieten, mit dem in der frühen Schwangerschaft ein Downsyndrom beim ungeborenen Kind festgestellt werden kann. Fakt ist, dass sich bereits jetzt etwa 90 Prozent der werdenden Eltern gegen das Kind entscheiden, wenn sie durch die Pränataldiagnostik erfahren, dass ihr Kind ein Downsyndrom haben wird. Fakt ist auch, dass der Blut-Test demnächst jeder Schwangeren angeboten wird/werden muss und dass weitere Tests in Zukunft folgen werden, um "möglichst jede Behinderung auszuschließen". Ärzte/Gynäkologen befinden sich in dem Zwiespalt, sich selbst juristisch gegen spätere Ansprüche absichern zu müssen. Andererseits fehlt ihnen die nötige Zeit für eine adäquate Beratung. Der Stellenwert von Beratungsziffern spielt im derzeitigen Abrechnungssystem für Ärzte eine vernachlässigbare Rolle. Anstatt einen Test zu verbieten, wäre daher eine Wertschätzung der Arbeit derer zu befürworten, die in direktem Kontakt mit den Schwangeren stehen (Beratungsstellen, Ärzte). Als Kinderärztin mit dem Schwerpunkt Neuropädiatrie bin ich täglich im Kontakt mit behinderten Kindern und deren Familien und weiß nur zu gut, welche Sorgen auf diesen Familien lasten. Manche Familie schafft das Leben mit einem behinderten Kind nur sehr schwer oder gar nicht. Ist daher aber abzuleiten, dass pränatal auffällige Kinder "verhindert werden müssen"? Sind nicht wir alle in der Pflicht, den werdenden Müttern/Vätern zu helfen, sie zu unterstützen, ihnen Perspektiven aufzuzeigen? Es darf nicht sein, dass Eltern, die sich gegen die "hundertprozentige Absicherung in der Schwangerschaft" entscheiden, mit der Geburt ihres Kindes in die Rechtfertigungsschleife geraten. Das Ende dieser Schleife mag ich mir gar nicht vorstellen. Wir als Gesellschaft tragen da eine große moralische Verantwortung. Es gilt einerseits, die Wertschätzung für jedes Leben zu erhalten, unabhängig davon, was es in seinem späteren Leben einmal "erwirtschaften" wird. Andererseits müssen wir diese Familien auffangen, unser Sozialsystem muss sie mittragen. Ob eine Familie ihr Leben mit einem behinderten Kind meistern kann, hängt auch ganz entscheidend von uns ab. Die derzeitigen Versuche, die Geburtenrate (gesunder Kinder) mit Elterngeld, kostenlosen Kindertagesstättenplätzen (für das gesunde Einzelkind von doppelt berufstätigen Eltern) anzuheben, während entsprechende Entlastungssysteme für betroffene Familien fehlen, ist für mich schwer zu ertragen, wenn ich der Mutter mit einem behinderten Kind gegenübersitze. Dr. Christa Löhr-Nilles, Kinder- und Jugendärztin, Föhren

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