Gesellschaft

Zur Berichterstattung über Krisen und Katastrophen:

Welch ein Sommer! Naturkatastrophen, Krisen, Kriege? Alles in wenigen Monaten. In welcher Zeit leben wir gegenwärtig? Wie wollen wir leben? Menschen wollen frei sein und - zumindest hier in Europa und in Nordamerika - als Individuen wahrgenommen und respektiert werden, gleiche Rechte haben, in Sicherheit, mit einem Wort: Menschenwürdig leben. Tun sie das? Ich frage mich, ob die Häufung von Naturkatastrophen, ob der angedachte und tatsächliche Abbau sozialer und sogar demokratischer Rechte, ob öffentliche und private Schuldenkrisen, ob die zunehmende Reich-Arm-Kluft, ob das oft gewaltsame Zerbrechen von Familien und ob die Zunahme von Gewalttaten und Vereinzelung mit Einsamkeitsgefühlen mitten unter Menschen und mit dem krankhaften, zur Psychostabilität vielleicht jedoch notwendigen Drang zur pseudoindividualistischen Selbstdarstellung nicht etwas mit dem System zu tun haben, in dem wir gegenwärtig leben: dem hypertechnisch angetriebenen Kapitalismus. Technik erleichtert manches, beschleunigt allerdings auch spätestens seit der Mikrochip-Revolution die Arbeitsabläufe und den Alltag, dies führt zu Zeitdruck und Hetze, zu Gereiztheit und Nervosität. Es besteht nach meiner Erfahrung durch die Mikrochip-Elektronik mehr und mehr die Neigung zur Nummerierung, Mathematisierung nahezu aller Lebensabläufe. Das mag systemgerecht manches vereinfachen, ich halte es jedoch für die Entindividualisierung, Entpersönlichung von uns Menschen, wir erscheinen als Nummer, als austauschbare Größe in irgendeinem System. Der Vergleich mit der Nummerierung von KZ-Insassen und ihren Peinigern drängt sich mir auf, sie war meines Erachtens schon eine Art Vorläufer des gegenwärtig ablaufenden Prozesses, wenngleich Zweck und Ziel völlig verschieden waren. Der technologisch gestützte Kapitalismus mit seinem innewohnenden Antrieb zur Kapitalansammlung und zum (Massen-) Konsum führt neben gestiegener Gewinn- und Verbrauchsmöglichkeit allerdings auch zu vermehrter Gier, zu Konkurrenzdruck, der als Gewalt erfahrbar ist und Gewalt freisetzt, zu sozialer Unsicherheit und zunehmenden psychischen Erkrankungen; er setzt überhaupt viele menschliche Negativa frei (was "nebenbei gesagt" als kennzeichnend besonders im Straßenverkehr zu bemerken ist: Drängler, Raser, Vorfahrtnehmer). Kirchen, Sozialarbeiter und Schulen versuchen "immer weniger erfolgreich" dagegen zu predigen, zu betreuen, zu erziehen und zu lehren. Der (Techno-) Kapitalismus wird vermutlich sich selbst und dabei die Menschlichkeit zerstören, bis dahin: siehe oben. Michael Wilmes, Ralingen

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