Gesellschaft

Zum Artikel "Jeder Siebte ist arm - obwohl das Land so reich ist" (TV vom 24. Februar) diese Meinungen:

Der TV berichtet über wachsende Armut in Deutschland (15,4 Prozent, also fast jeder sechste Deutsche ist armutsgefährdet) und einem Rekordüberschuss von 19,4 Milliarden Euro der öffentlichen Hand. Hinzuzufügen ist noch, dass der Staat Investitionen in die Infrastruktur dramatisch vernachlässigt. So summiert sich der Wertverlust allein der Verkehrswege seit 2005 auf mehr als 51 Milliarden Euro, wobei sich diese negative Entwicklung weiter fortsetzt. Dies ist nachzulesen bei der "Kommission für nachhaltige Infrastrukturfinanzierung" des Bundesverkehrsministeriums. Diese private und öffentliche Armut wurde zum großen Teil durch immense Steuersenkungen, insbesondere für Spitzenverdiener produziert. Dass der Staat sich also selbst arm macht, basiert auf der neoliberalen Wirtschaftsideologie, die seit Jahrzehnten im Westen verfolgt und intensiviert wird. In ihr herrscht die Freiheit des (ökonomisch) Starken (Banken, Konzerne), der sich in aller Regel auf Kosten der Schwachen durchsetzt. Mittlerweile besitzen 62 (zweiundsechzig) Personen so viel Vermögen wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung (knapp vier Milliarden Menschen). Dies belegt: Diese Wirtschaftsideologie führt zu Ausbeutung und Abgrenzung, denn sie produziert Gewinner und Verlierer und damit auch Menschen, die Angst haben, Verlierer zu werden, also ein Interesse daran haben, dass andere die Verlierer sind und bleiben. Diese Angst wiederum ist ein Nährboden für den Rechtsruck, der inzwischen auch in Deutschland weit in die gesellschaftliche Mitte hineingreift, wie sich in der aktuellen Flüchtlingssituation zeigt. Rechtspopulisten glauben irrigerweise, durch Grenzschließungen das Flüchtlingsproblem in den Griff zu bekommen; sie verkennen dabei, dass wir im Zeitalter der Globalisierung nicht länger auf der Insel der Seligen leben können. Denn Ausbeutung und Abgrenzung führen zu Bürger- und internationalen Kriegen, von deren Auswirkungen Europa schon heute nicht mehr verschont bleibt. Unsere Demokratie, die auf Menschenrechten basiert (GG 1, Genfer Flüchtlingskonvention), also auf Grundwerten, für die die EU den Friedensnobelpreis erhalten hat, ist somit von zwei Seiten gefährdet: dem ungehemmten Wirtschaftsliberalismus (siehe auch TTIP) einerseits und andererseits dem Rechtspopulismus, der immer deutlicher in Rechtsextremismus ausartet (wie nicht nur die jüngsten Ereignisse in Clausnitz und Bautzen gezeigt haben). (Verteilungs-)Kriege verhindern, die Demokratie verteidigen, den Rechtsruck wirksam bekämpfen heißt: Alternativen zum gegenwärtigen Wirtschaftssystem aufzeigen, die ein gutes Leben für alle ermöglichen. Statt auf Ausgrenzung und Konkurrenz setzen diese auf Solidarität und Kooperation; anstelle von Profiten stehen menschliche Bedürfnisse im Vordergrund. Schritte in diese Richtung sind: Unterstützen solidarischer und ökologischer Wirtschaftsformen. Umverteilen von Vermögen und Arbeitszeit. Verteuern von Umweltverbrauch, denn unser Planet ist nicht endlos. Norbert Bogerts, Welschbillig Wer als Single über weniger als 900 Euro im Monat verfügt, lebt unterhalb der Armutsgrenze - so die lapidare Botschaft des "Armutsberichts" der paritätischen Wohlfahrtsverbände. Es ist nur die halbe Wahrheit, denn Armut hat viele Gesichter und Ursachen, nicht nur systembedingte. Vor allem kann individuelles Verhalten die Ursache von Armut sein. Bildungsarmut ist weit schlimmer als materielle Armut, weil Bildung der Schlüssel zu materieller und ideeller Unabhängigkeit ist. War Mahatma Gandhi, der nicht mehr besaß als sein Lendentuch, arm? Im Gegenteil! Gerade der Verzicht machte diesen gebildeten Mann unabhängig. Dass arme Bevölkerungsschichten keinen Zugang zur Bildung hätten, ist ein Mythos: Jedem, der kann und will, steht eine große Palette an Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten zur Verfügung. Wenn man die nicht nutzt, darf man sich über Armut nicht beschweren. Anspruchsdenken ist mentale Armut, die weit verbreitet ist. Vielen steht "Ich habe Anspruch!" geradezu auf der Stirn. Anspruch an den Staat, das unbekannte Wesen? Der Staat, das sind wir alle, die Solidargemeinschaft. Solidargemeinschaft, die von den einen getragen, von den anderen ausgenutzt wird, kann nicht funktionieren. Ist jedem bewusst, welchen Reichtum wir an unserem überaus leistungsfähigen Gesundheitssystem haben? Die Behandlung schwerkranker Menschen kann im Einzelfall Millionen kosten. Wer sorgt dafür, dass dieses Geld zur Verfügung steht? An vorderster Front sind es die hart arbeitenden Unternehmer, die keine Briefkastenfirma in Amsterdam unterhalten, um Steuern zu hinterziehen. Es ist die breite Palette erfinderischer, produzierender Intelligenz, das große Heer Einkommensteuer zahlender Menschen in Wissenschaft, Schule, Produktion und Dienstleistung - nicht die Vorstandsmitglieder, die wahnsinnige Gehälter und Boni kassieren. Last, but not least: Es sind die qualifizierten Elternhäuser, die dafür sorgen, dass die Gesellschaft nicht an fähigen Menschen verarmt, nicht die, die ihr Kind aus Faulheit morgens ohne Frühstück zu Kita und Schule schicken. Sind nicht auch falsche Standards und leichtfertige Lebensentwürfe schuldhafte Ursachen für Armut? Und muss es das jeweils neueste Handy, die teure Wohnung in der Innenstadt, der Dosendrink mit Fast Food sein? In materiell und intellektuell kargen Verhältnissen aufgewachsen, zu eiserner Sparsamkeit und Disziplin angehalten und schon als Kind hart mitarbeitend, um der kinderreichen Familie zu bescheidenem wirtschaftlichem Wohlstand zu verhelfen, behaupte ich aus Erfahrung: 900 Euro im Monat sind richtig viel Geld, wenn man sparsam damit umgeht! Armut beginnt im Kopf: Man muss nicht alles haben, was die konsumgeile Spaßgesellschaft bietet. Eltern sollten die Fähigkeit zu Kreativität und Improvisation ihrer Kinder fördern, statt sie in digitaler, anspruchsloser Kommunikation verarmen zu lassen. Sie sollten ihnen das "richtige" Leben beibringen und sie nicht in Watte packen. Manfred Schmitz, Flußbach

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