Leserbriefe Götter in Weiß

Zum Artikel „Wenn der Arzt Bauchschmerzen nicht ernst nimmt“ (TV vom 6. Juni) schreibt Alfred Schmitt:

Ärztliche Behandlungsfehler werden in der Regel durch medizinische Sachverständigen-Gutachten entschieden. Die Justiz übernimmt dabei nicht selten selbst die abwegigsten „Gefälligkeitsgutachten“ zur Entlastung ärztlicher Kollegen wie ein Ergebnis höherer Weisheit und macht sie zur Grundlage juristischer Entscheidungen. Allerdings wird dadurch von der Justiz schreiendes Unrecht mit dem Schein des Rechts versehen.

Der Gipfel der Borniertheit besteht darin, dass die Justiz die Zustände selbst erst durch richterliche Willkür ohne Rechtsgrundlage geschaffen hat. Die Wertung des ärztlichen „Heileingriffs als Körperverletzung“, vom früheren Reichsgericht konzipiert und bis heute überliefert, treibt die Ärzte auf die Barrikaden. Deshalb sind sie nicht bereit, ärztliche Kollegen an die Justiz auszuliefern und unterlaufen die Rechtsprechung durch Gefälligkeitsgutachten. Zugleich wird jeder Arzt, der objektive Gutachten zugunsten von geschädigten Patienten erstellt, zum Außenseiter und als „Nestbeschmutzer“ gnadenlos bekämpft. Der Bundesgerichtshof hat in einer aufsehenerregenden Entscheidung darauf hingewiesen, dass medizinische Sachverständigen-Gutachten kritisch zu würdigen sind.

Das hat sich vielfach zu Provinzgerichten noch nicht herumgesprochen, die anscheinend medizinische Gutachten „wie ein Ergebnis höherer Weisheit“ übernehmen. Das soll laut (BGH) nicht bedeuten, dass deshalb einem solchen Gutachten grundsätzlich zu misstrauen wäre. Wohl aber hat der Richter sorgfältig auf Anzeichen einer hieraus möglicherweise entspringenden, gewiss häufig nicht bewussten Voreingenommenheit des Gutachters zu achten. Der Richter kann deshalb, soweit er sich daran nicht durch mangelnde eigene Sachkunde gehindert sehen muss, vor allem auch Urteile des Gutachters, die notwendig auf subjektiver Wertung beruhen, durch eigene korrigieren oder ersetzen.

Zwar hat der Bundesgerichtshof hier in einem lichten Moment das Ergebnis seiner absurden Rechtsprechung erkannt, ist aber nicht in der Lage zu begreifen, dass die Ursache dafür in seiner eigenen Spruchpraxis liegt. Ein Richter wird sich in aller Regel mangels eigener Sachkunde daran gehindert sehen, das Votum eines medizinischen Sachverständigen zu korrigieren. Die Ausführungen des Bundesgerichtshofes sind folglich lebensfremd und nicht geeignet, das Problem der Gefälligkeitsgutachterei zu lösen.

Abgesehen von der dringend erforderlichen Änderung der Rechtsprechung könnte dieses Problem allerdings ganz einfach dadurch gelöst werden, dass dem Gutachter aufgegeben wird, jede sogenannte entscheidungserhebliche Aussage durch Kopie aus der einschlägigen medizinischen Fachliteratur zu belegen. Dies würde Gefälligkeitsaussagen gegen die medizinische Fachliteratur bereits vom Ansatz her unmöglich machen.

Alfred Schmitt, Tawern

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