Im falschen Film

Soziales

Zum Artikel "Mehrheit lehnt Ausnahmen ab" und zum Mindestlohn (TV vom 19. Juli):
Allein die Überschrift macht mich sauer. Das impliziert ja schon, dass jeder denkt, alles ist in bester Ordnung. Nein, ist es nicht!
Dass sich die SPD die Einführung des Mindestlohns auf die Fahnen schreibt, ist grotesk. Denn dank der SPD musste der staatlich regulierte Mindestlohn erst eingeführt werden. War es doch die Regierung unter Bundeskanzler Schröder, die die Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge abgeschafft hat. Eine Allgemeinverbindlichkeit, die über 50 Jahre einen Mindestlohn überflüssig machte. Konrad Adenauer und Ludwig Erhard würden sich im Grabe umdrehen, wenn sie das mitbekommen würden. Von Friedrich Ebert, Kurt Schumacher und Herbert Wehner ganz zu schweigen.
Ich bin schon immer gegen den Mindestlohn, bin also einer von wenigen (15 Prozent der repräsentativen Umfrage). Ich lehne den Mindestlohn ab, weil starke Gewerkschaften und starke Arbeitgebervertretungen in unserem Land Tarifverträge einvernehmlich für ihre Branchen oder Betriebe aushandeln. Aber das ist leider unter der Kategorie "Es war einmal …" abzuhaken.
Die gleichberechtigte Tarifverhandlung, bei der mal die eine, mal die andere Seite besser herausgekommen ist, ist Geschichte. Heute können Arbeitgeber einfach sagen, ich mach da nicht mehr mit und fertig. Das ist schlimmer als alle mindestlohnverweigernden Arbeitgeber. Großbetriebe haben sich aus der Tarifvertragstradition verabschiedet. Branchen, die in den letzten Jahren entstanden sind, haben sich erst gar nicht organisieren müssen - weil der Gesetzgeber es nicht verlangt hat. Vorbei ist es mit der Tarifautonomie, einer Tradition und Stärke, die Deutschland zu dem gemacht hat, was es ist: einem Wirtschaftsstandort mit Potenzial.
Das Schlimme ist, dass die Gewerkschaften brav den Kopf gesenkt halten. Der DGB findet den Mindestlohn sogar gut?! Ich bin im falschen Film. Die Dachgewerkschaft schafft sich selbst ab. Lohn und Entlohnung dürfen nicht politisch motiviert sein, wie der Mindestlohn es ist, sondern müssen betriebswirtschaftlichen Erfordernissen genügen.
Was wird die Folge dieser verfehlten Politik sein? Werden sich Billiglohnbetriebe, die Massen an Produkten herstellen, wieder in Deutschland einfinden? Werden sich Arbeiter oder Angestellte eines Betriebs, der 8,84 Euro die Stunde zahlt, abends noch in eine Fortbildung begeben, um ihren Betrieb voranzubringen? Oder sich Gedanken um Verbesserung in Produktion oder der Entwicklung in ihrem Unternehmen machen? Ein Fantast, wer das erwartet. Oder ganz schön grün hinter den Ohren und naiv im Glauben.
Peter Kühn
Temmels

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