Gesellschaft Im Nachhinein immer schlauer

Zum Artikel „Marx, Hindenburg und die anderen“ (TV vom 18. Juni) und zum Leserbrief „Lasst die Kirche im Dorf und Marx auf dem Sockel“ (TV vom 4./5. Juli) sowie zur Rassismus-Debatte schreiben Axel Barta und Willi Körtels:

Als vor rund sechs Jahren der IS alte Kulturdenkmäler zerstörte, waren der weltweite Aufschrei und die Empörung groß. Ich habe ebenso empfunden. Aktuell werden in einigen Teilen der Welt wieder Denkmäler vom Sockel gestoßen. Diesmal im vornehmlich christlichen Westen. Macht es das besser? Es liegt ja in der Natur der Sache, dass wir im Nachhinein immer schlauer sind und somit heute in den meisten Fällen besser wissen, was in der Vergangenheit richtig und gut oder schlecht und falsch war. Dass es dabei immer eine große Grauzone geben wird, ist unvermeidbar. Allerdings fragt man sich auch manchmal, ob wir denn gar nichts aus unserer Vergangenheit gelernt haben, wenn man den zunehmenden Rassismus und vor allem Antisemitismus sieht, der immer mehr um sich greift. Letzterer ist geradezu salonfähig geworden.

Dass nun bei dem Versuch gegenzusteuern auch unsere Straßennamen und Statuen unter die Lupe genommen werden, ist sicherlich gut gemeint. Ob es auch gut gemacht wird, werden wir sehen beziehungsweise müssen wir mit viel mehr Sinn und Verstand tun. Zumindest erscheint es mir im Moment doch ziemlich hysterisch. Und – überspitzt ausgedrückt – sollten wir aufpassen, dass wir mit der Straßennamenkontroll-AG nicht eine Art Scharia-Polizei formen, die es sich zur Aufgabe macht, in großem Stil eine Säuberungsaktion in Deutschland durchzuziehen.

Es kommt eben immer auf das Auge und den Blickwinkel des Betrachters an. Also bitte alles mit Maß und Ziel. Ob es bei dieser Betrachtung und der finalen Entscheidung, was nun weg soll oder stehen bleiben darf, sinnvoll ist, unbedingt die Lebensleistung einer Person bei der Beurteilung in die Waagschale zu werfen, bezweifele ich. Wir können nicht Schlechtes mit Gutem aufrechnen.

Viel wichtiger aber ist, anstatt sich auf die Vergangenheit zu konzentrieren, gegen die alltägliche Realität von Rassismus und Antisemitismus vorzugehen. Hier ist unsere Politik gefragt, wirklich wirksame Mittel zu schaffen und bereits in Kindergärten und Schulen, so früh wie möglich, damit anzufangen, den Kindern ein vernünftiges Weltbild zu geben und der falschen Hirnwäsche durch die Familie und später das soziale Umfeld entgegenzuwirken. Aber auch dies nicht nur mit „Wir haben uns alle lieb“-Parolen. Denn das stimmt leider nicht, und das Leben ist nun mal kein Ponyhof.

Ich finde es zudem schade, dass in den USA erst ein Afroamerikaner von einem Polizisten ermordet werden muss, damit hier in Deutschland mehr Sensibilität für solche Probleme geschaffen wird. Schade auch, weil wir genug eigene Probleme haben, und das schon länger.

Wo waren die Tausende Demonstranten bei den Anschlägen der letzten Jahre in Deutschland, gleich aus welcher Ecke der Gesellschaft gegen welche Gruppe oder Einzelpersonen? Da blieben sie versteckt in ihrer Komfortzone. Es ist einfacher, gegen etwas zu demonstrieren, was weit weg ist und einem nicht direkt auf die Füße fallen kann. Ist das nur eine coole Aktion für sogenannte Aktivisten, bei der man in den langweiligen Corona-Zeiten mal mitmacht, oder ist es wirklich ernst gemeinter nachhaltiger Protest? Wir werden sehen, wie lange der Atem reicht.

Es gab und gibt sehr viel zu tun in unserem Land. Aber bitte mit etwas mehr Gelassenheit auf der einen Seite und etwas mehr Empathie auf der anderen. Gegenseitiges Verständnis für andere. Das würde im Alltag schon eine Menge helfen. Anstatt die Ellbogen immer mehr auszufahren und alles und jeden Andersdenkenden niederzubrüllen und mundtot zu machen. Ein wenig Laissez-faire eben. Oder noch besser, leben und leben lassen.

Axel Barta, Strohn

Angehörigen einer saturierten Wohlstands- und Überflussgesellschaft das Recht abzusprechen, historische Persönlichkeiten vom Sockel zu stürzen, spricht nicht für die Überzeugungskraft des Leserbriefschreibers Karl Mikolai. Heutige Menschen sind wie Menschen früherer Epochen in der Lage, herausgehobene historische Menschen zu bewerten, weil die Erkenntnisse sich ständig ändern und damit die Sichtweise auf Personen, die sich in Straßennamen, Statuen oder Wandbildern manifestieren. Differenziert wird seit vielen Jahrzehnten um die Bedeutung von Karl Marx gerungen.

Eine ernste Diskussion zu Kaplan Dasbach ist bisher ausgeblieben, wie sich an den Schlagworten von Herrn Mikolai erkennen lässt. Unkritisch wird wiederholt, Dasbach sei ein großer Helfer des Trierer Landvolks gewesen, er sei Sozialreformer zugunsten der Bauern und Winzer an der Mosel gewesen. In seinen Zeitungsorganen habe er den „Judenwucher“ angeprangert.

Die jüngsten historischen Arbeiten zeigen indes ein anderes Bild von Dasbach. Infrage steht, ob er tatsächlich den Bauern und Winzern in ihrer Alltagsarbeit nützte. Die weit verbreitete Unsitte der Realteilung landwirtschaftlicher Betriebe als zentrale Quelle der Verarmung der ländlichen Bevölkerung war für Dasbach kein Thema. Mit dem Bau der Eisenbahn konnten Agrarprodukte ins Industriegebiet Saarland aus Frankreich und entfernteren deutschen Regionen kostengünstig geliefert werden. Das schwächte die Absatzmöglichkeiten der Agrarprodukte aus den ländlichen Gebieten in Eifel und Hünsrück.

Dasbach machte allein die jüdischen Viehhändler für diesen Einkommensrückgang verantwortlich. In seinem Buch „Der Wucher im Trierer Lande“ verwendete er nur vor Gericht ausgetragene Handelskonflikte, die Christen gewonnen hatten. Die anderen ignorierte er.

Es verdichtet sich gegenwärtig die Annahme, dass er ein überzeugter Antisemit war, wie Gedichte und Karikaturen von ihm nahelegen. Hinzu kommt, dass er mit seinen antisemitischen Zeitungsartikeln das antisemitische Bewusstsein in den bildungsfernen Regionen von Eifel, Hunsrück und Mosel beeinflusste oder gar prägte.

Er nutzte offenbar den „Wuchervorwurf“ gegen die Juden, um in den Reichstag gewählt zu werden. Im deutschen Reichstag wurde er 1893 vom liberalen Abgeordneten Rickert gerügt, weil er dort die bis dahin schärfste antisemitische Rede gehalten habe. (Vergleiche: Mitteilungen aus dem Verein zur Abwehr des Antisemitismus, Ausgabe 12.3.1893, S. 111-114).

Was bleibt von dem „großen Bauernbeglücker“ Dasbach?

Willi Körtels, Konz

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