Gesellschaft Junger Mann, haben Sie meinen Blinker nicht gesehen?

Zu den Artikeln „Sollen Autofahrer mit 75 Jahren zum verbindlichen Fahrtest?“ und „,Wir nehmen niemandem den Lappen weg’“ (TV vom 2./3. März) schreiben Achim Roter, Dr. Karl-Georg Schroll, Manfred Rosar und Raimund Thies:

Mit dem Titelbild stimmt die Redaktion bestens auf das Thema ein. Ich sehe Blumenkohlohr, Altersflecken, Falten ohne Ende, schlechte Zähne, einen wirren Blick – ein starker Kontrast zu den Models aus den Best-Ager-Druckerzeugnissen, wie sie auch der Volksfreund herausgibt. Also „Mission completed“ und Sonderlob für die Bildredaktion.

Aber Frust bei allen, die sich im Alter eines Aussehens erfreuen, das nicht so offensichtlich für tendenzielle Reportagen missbraucht werden kann.

Kürzlich berichtete der Volksfreund  noch über einen 85-Jährigen, der von der Polizei bei der Heimfahrt auf drei Reifen angehalten wurde – der Funkenflug seiner Vorderradfelge auf dem Asphalt hatte ihn verraten. Leider ohne Foto des Fahrers – oder ist das der nun auf Seite eins  abgebildete?

Achim Roter, Schwarzenborn

Das Thema der „fahruntüchtigen“ Rentner am Steuer ploppt regelmäßig, zumindest einmal im Jahr, auf. Sicherlich nimmt die Fahrtüchtigkeit mit zunehmendem Alter ab, nicht gleichmäßig und bei jedem älteren Menschen verschieden. Man sollte aber bedenken, wen es trifft, wenn man als Rentner den Führerschein freiwillig oder gezwungen abgibt. Wenn man als älterer Mensch auf dem Land seine persönliche Mobilität erhalten will – also mehr als nur mal kurz von A nach B fahren will/muss –, dann ist die Nutzung eines Autos unerlässlich. Nicht jeder ist mit einem dörflichen Bahnhaltepunkt „gesegnet“ wie ich. Wer tiefer im ländlichen Raum wohnt, hat keinen oder fast keinen Anschluss an das öffentliche Verkehrsnetz.

Man sollte also nicht „die Rentner“ in Haftung nehmen, sondern endlich älteren Menschen eine Mobilitätsalternative zum Auto in Form eines ausgebauten ÖPNV-Netzes anbieten, dann verringert sich die Gefahr einer persönlichen Fahruntüchtigkeit. Auch könnte ein günstiger Preis helfen. Ein „Senioren-Ticket“ (zum Beispiel 50 Euro monatlich für das VRT-Gebiet) könnte – zumindest dort, wo ein ÖPNV-Anschluss besteht –, das Stehenlassen des Autos attraktiv machen. Man sieht, es gäbe Alternativen – die Verunsicherung von älteren Menschen ist der falsche Weg.

Dr. Karl-Georg Schroll, Wiltingen/Saar

Ich hätte allen Grund, für eine Überprüfung der Fahrtauglichkeit im „Alter“ zu sein: Vor rund 35 Jahren, 18 Jahre alt, übersah mich im Sommer tagsüber eine etwa 80-jährige Dame in Ostfriesland auf einer geraden, übersichtlichen Landstraße. Ich war auf meinem kleinen Motorrad mit rund 80 km/h unterwegs und prallte ungebremst in ihr Fahrzeug, nachdem sie plötzlich aus einer Reihe parkender Autos ausgeschert war. Da halfen auch mein eingeschaltetes Licht und der Schwenker auf die Gegenfahrbahn, den ich noch hinbekam, nichts: Sie wollte auf der Straße wenden und  begrüßte mich etwa 30 Meter weiter auf der Straße mit den Worten: „Junger Mann, haben Sie meinen Blinker nicht gesehen?“

Heute kann ich darüber lachen, damals verlor ich meine Ausbildungsstelle beim Bundesgrenzschutz und hatte einige OPs vor mir. Dennoch bin ich der Meinung, dass man Fahrtauglichkeit nicht am Alter der jeweiligen Verkehrsteilnehmer festmachen sollte. Nicht nur aus Gründen der Diskriminierung, sondern einfach, weil auch deutlich jüngere Menschen aus den verschiedensten Gründen eventuell nicht mehr ausreichend fahrtüchtig sein könn(t)en.

Daher spreche ich mich für eine Überprüfung der Fahrtauglichkeit ab dem Beginn des Führerschein­erwerbs im Fünf-Jahres Rhythmus (und einer Auffrischung der Erste-Hilfe-Kenntnisse) aus. Ob dieser ab 75 Jahren auf einen Zwei- oder Drei-Jahres-Turnus verkürzt werden sollte, sollten Experten entscheiden.

So bleibt uns die Diskriminierungsdebatte erspart (ich begrüße es ausdrücklich, dass ältere Verkehrsteilnehmer ein Fahrzeug führen, wenn sie denn dazu in der Lage sind!), und sicherlich hilft dies, die Zahl der Verkehrstoten beziehungsweise -verletzten weiter zu reduzieren.

Manfred Rosar, Ralingen

In letzter Zeit nehmen Publikationen in den Medien erkennbar zu, in denen es um das Fahren im Alter  geht. Wenn man dann jedes Mal registriert, dass diverse Politiker nicht müde werden zu versichern, dass  keine Restriktionen für Senioren geplant seien, lässt das eher Übles befürchten.

Es geht nur noch darum, wie man dem Wähler vortäuschen kann, dass die Politik nicht direkt für eine neue Behelligung der Bürger verantwortlich ist, damit bloß keine Wählerstimme verloren geht.

Das schönste Beispiel haben wir ja gerade erst beim Diesel-Dilemma. Da wurde diese zwielichtige Organisation namens Deutsche Umwelthilfe als Buhmann an die Front geschickt, die wir zum Teil sogar mit unseren Steuergeldern finanzieren.

Ich bin mal gespannt, welches Alibi man sich ausdenken wird, um dann doch allgemein verpflichtende Kontrollen für ältere Autofahrer einführen zu können. Die werden mit Sicherheit kostenträchtig sein, weshalb die Fahrschullobby eine Einführung sicherlich begrüßen würde. Diese Kosten kommen dann noch zu der bis dahin eventuell eingeführten CO2-Steuer hinzu, die der Rentner entrichten soll, weil er einfach zu stur ist, seine letzten Ersparnisse (sofern vorhanden) für ein 50 000 Euro teures Elektroauto aufzugeben.

Der zarte Hinweis des rheinland-pfälzischen Innenministers Roger Lewentz auf eine Vergleichsrisikogruppe schreit übrigens nach einer drastischeren Würdigung. Ich glaube, dass mich meine Logik nicht täuscht, wenn ich aus den zahlreichen Berichten der letzten Jahre im TV zu zum Teil schweren Unfällen mit der Feststellung „junge Fahrer aus ungeklärter Ursache auf die Gegenfahrbahn geraten“ die Schlussfolgerung ziehe: Die Ursache dieser Unfälle ist völlig verantwortungsloser Umgang mit Geräten wie Smartphone oder Navi  durch zum Teil kommunikationssüchtige (oft junge) Fahrer. Ich fahre mit 67 Auto und sogar Motorrad und bin unterwegs noch nie durch alte Leute, noch nicht mal durch die viel gescholtenen Raser, aber bereits mehrfach durch solche „Fahrbahnwechsler“ gefährdet worden.

Mich packt die kalte Wut, wenn ich zum Beispiel in Trier beobachte, dass eine junge Fahrerin nach Start an der Ampel während der Kreuzungsüberquerung noch eine Nachricht fertigtippt.

Daher mein Appell an die Politiker: Traut euch mal erst an die mächtige Lobby der Auto- und Smartgeräte-Hersteller mit Vorgaben zur technischen Unterbindung dieses Wahnsinns anstatt eine sehr große Bevölkerungsgruppe, die eher durch verantwortliche Teilnahme am Straßenverkehr auffällt, zu drangsalieren.

Raimund Thies, Minden

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