Justiz

Zum Artikel "BGH hebt Urteil wegen Erschießung von Polizisten auf" (TV vom 3. November):

Unseren obersten Richtern in Karlsruhe kann man eines sicher nicht vorwerfen: mangelnde Sensibilität. Jedenfalls solange es um die Sorgen und Nöte schwerkrimineller Randgruppen der Gesellschaft geht. Zur Erinnerung: Erst im Mai dieses Jahres hat das Bundesverfassungsgericht zum Schutz der Grundrechte besonders gefährlicher Straftäter, darunter viele Sexualverbrecher, die Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig erklärt - und damit einer Vielzahl dieser Individuen zur Freiheit verholfen. Vor allem auf Kosten der Sicherheit von Frauen und Kindern. Und nun der 2. November, der zumindest innerhalb der rheinland-pfälzischen Polizei Entsetzen ausgelöst hat. An diesem Tag hat der Zweite Strafsenat des BGH einem Mitglied der Hells Angels, also einer Organisation, die man als Global Player der lukrativen Branchen Menschen-, Waffen- und Drogenhandel, Raub und Erpressung bezeichnen könnte, nachträglich das Recht zugesprochen, einen an einer richterlich angeordneten Hausdurchsuchung beteiligten Polizisten durch einen gezielten Schuss zu töten. Denn wegen der gefährlichen und daher nervenaufreibenden Tätigkeit eines Hells Angel ist diesem - nach den Feststellungen des BGH - nicht zuzumuten, bei der Abfertigung unangemeldet vor der Haustür erscheinender Besucher auch noch zwischen Mitarbeitern krimineller Konkurrenzunternehmen und der Polizei zu unterscheiden. Dass der BGH nun den in dieser Situation gezielt abgegebenen, tödlichen Schuss als "Verkettung unglücklicher Umstände" bewertet, die "dem Angeklagten nicht anzulasten waren", ist wirklich bemerkenswert - und ein Schlag ins Gesicht der Hinterbliebenen des Getöteten. Um dieses Urteil zu verstehen, bedarf es sicher besonderen juristischen Sachverstandes. Gesunder Menschenverstand ist dabei eher hinderlich. Im Grunde gesteht der BGH damit ausgerechnet Schwerkriminellen künftig eine Art Misstrauensbonus zu und begräbt gleichzeitig das staatliche Gewaltmonopol. Zwei Fragen: Kritisierte nach diesem empörenden Urteil irgendein prominenter Bundespolitiker, etwa der sonst gerne mal betroffene Bundespräsident, die BGH-Entscheidung - und sei es nur wegen der bedenklichen Folgen für die Arbeit der Polizei in der Rockerszene oder ähnlich gefährlichen Milieus? War dieser postmortale Fußtritt des BGH gegen meinen bei der Verbrechensbekämpfung getöteten Kollegen irgendeiner seriösen Zeitung einen Seite 1-Artikel wert? Nein. Das ist nur üblich, wenn die Polizei einen Schuss mit tödlichen Folgen abgibt. Alfred Himbert, Kriminalpolizei Trier

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