Kein Zurück zum Nachtwächterstaat

Zum Artikel "Mehr Markt, weniger Staat" (TV vom 3. Mai):

Die Kammern vertreten die Interessen der Wirtschaftsunternehmen - das ist ihre Aufgabe, und niemand wird ihnen verdenken, dass sie dies vehement und aus ihrer Sicht vortragen. Sie wollen den Staat grundsätzlich auf "hoheitliche Aufgaben" beschränkt sehen. Sie rufen also nach dem alten Nachtwächterstaat des 19. Jahrhunderts, der die Wirtschaft möglichst wenig behelligen soll.

Aber halt: Seit Beginn der 1980er Jahre haben Regierungen in Deutschland, egal welcher Partei, eine überwiegend unternehmerfreundliche Politik gemacht. Die finanzielle Notlage der Kommunen wurde wesentlich durch die Senkung der Unternehmenssteuern mit verursacht. Die aktuelle Finanzkrise kommt nicht von zu viel, sie kommt im Gegenteil von zu wenig staatlicher Regulierung!

Wer nur pauschal nach Entbürokratisierung ruft (da gibt es zweifellos einiges zu tun!), der sollte nicht vergessen, dass die Wirtschaft einen regulativen Rahmen braucht, wenn sie der Gesellschaft dienen soll. Das geht nun mal nicht ohne Bürokratie. Und zweitens haben wir den Nachtwächterstaat aus guten Gründen überwunden: Der Staat und mit ihm die Gemeinden sind nicht negativ auf hoheitliche Aufgaben beschränkt, sondern positiv dem Gemeinwohl verpflichtet, und das ist etwas ganz anderes. "Die Gemeinde ist Grundlage und zugleich Glied des demokratischen Staates. Sie ist berufen, das Wohl ihrer Einwohner zu fördern" (so § 1 der Gemeindeordnung Rheinland-Pfalz).

Dazu gehören insbesondere die freiwilligen Aufgaben, vom Personennahverkehr über Theater, Bibliotheken, Bildungseinrichtungen bis hin zu den gemeinnützigen Vereinen. Wer "alles auf den Prüfstand stellen" will, der schüttet das Kind mit dem Bade aus.

Die Kammern täten gut daran zu bedenken, dass sie nicht nur Unternehmer mit dem ausschließlichen Blick auf den Nutzen des Unternehmens vertreten, sondern mit ihnen auch Staatsbürger und ihre Familien, die in vielfältiger Weise von den Leistungen der Gemeinden profitieren. Es erstaunt, dass die "Corporate Social Responsibility", die Verantwortung der Unternehmen für das Gemeinwesen, in dem Papier offenbar gar nicht vorkommt.

Bernd Hamm, Korlingen

wirtschaft

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