Kultur

Zu den zahlreichen Leserbriefen über das Trierer Theater:

Nachdem wir die verheerenden Kritiken gelesen hatten, besuchten wir im vergangenen Jahr eine der ersten "Fidelio"-Aufführungen in Trier mit sehr gemischten Gefühlen. Ich hatte meine 82 und 63 Jahre alten Tanten eingeladen. Wir warnten sie ausdrücklich: Wir hätten keine Ahnung, was auf sie zukäme, da wir noch keine Aufführung unter dem neuen Intendanten gesehen hätten und die Kritiken nicht gut seien. Sie sollten sich also auf alles gefasst machen. Beide versicherten, sich gerne darauf einzulassen und uns keinen Strick daraus zu drehen, sollte es grauenhaft sein. Sie wollten die Aufführung bis zum Ende sehen, nur so könne man sich ein Urteil erlauben. Außerdem hätte man in solchen Fällen immer mehr Gesprächsstoff als bei klassischen Aufführungen. Beide sind alte Opernhasen. Wir gingen also mit gemischten Erwartungen in den "Fidelio", und ich war schockiert, das Theater so leer vorzufinden. Nur etwa 30 andere Menschen wollten sich selbst eine Meinung bilden, zwei davon gingen vorzeitig, als es zu der angedeuteten Vergewaltigungsszene kam. Meine Tanten zuckten nicht mal. Sie hielten durch - nicht nur bis zur Pause, die sie bei Sekt und Häppchen im neu gestalteten Foyer sehr genossen. Am Ende waren sie sich einig: Es war ein gelungener, sehr anregender Theaterbesuch, und wir redeten und diskutierten wie erwartet das ganze Wochenende darüber. Weder waren sie abgeschreckt noch intellektuell überfordert. Im Gegenteil: Auch wenn sie akustisch nicht alles verstanden, fanden sie die Idee des eingewobenen Theaterstückes interessant, kommentiere es doch die Geschichte des Fidelio kritisch und habe Beziehung zum aktuellen Zeitgeschehen. Sie waren weder geschockt von den sogenannten Sexszenen noch durch das Gemetzel auf der Bühne. In Bonn, so versicherten sie uns, seien die Zuschauer ganz anderes gewöhnt. Sie fanden es sehr schade, dass das Trierer Publikum dem Stück keine Chance gegeben hat. Beide versicherten, sie würden glatt ein Theater-Abo kaufen, wenn sie in Trier wohnen würden. Gabriele Hartmann-Tsigos, Trierweiler

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