Lebensabend - Lebensnacht

Ein paar Erinnerungen hat sie mitgenommenan diesen letzten Ort, der niemals Heimat wird -zaghafter Schritt, ein Foto in den Händen,der lange Flur, die Tür, da wird es enden. Die Kinder reden ihre Ängste nieder:"Da ist der Koffer, ein paar Lieblingssachen,und wir besuchen Dich bestimmt bald wieder.


Du kannst jetzt ruhen, lass die andern machen."

Und auf dem blanken Flur entfernen sich die Schritte,
und sie steht zitternd in der Zimmermitte.
Sie geht zum Fenster, sieht durch nasse Scheiben,
winkt weinend, möchte bitten, dass sie bleiben.

Und sie, die immer Kämpferin war,
bekam den leeren Blick wie alle andern,
und niemand streichelt tröstend übers Haar -
zu wenig Zeit - und die Gedanken wandern:

Ein kleines Haus und Kinderlachen
und trösten, schimpfen, in die Arme schließen
und arbeiten und Essen machen
und ausruhn und den Tag genießen.
Und Rufe: "Mutter, ich bin da!"
Sie waren sich doch mal so nah.

Verwirrt taucht sie aus ihren Träumen,
die Schwester sagt: "Wir dürfen doch
im Saal das Essen nicht versäumen -
und hier: Ihre Tabletten noch."

Anfangs hat sie die Füße noch gehoben,
sie wollte alles tun, was noch so ging.
Jetzt wird sie durch den Flur geschoben.
Es muss ja schnell gehn, sagt die Pflegerin.

Doch manchmal leuchten ihre Augen,
auch wenn es schlimmer ist, als sie gedacht.
Sie möchte ihren blauen Schal,
den hat die Tochter mal für sie gemacht.

Und: "Bitte, Schwester, meine warmen Sachen,
die Kinder fahren mich im Park spazieren;
und bitte, schnell die Haare machen,
sie sollen meine Traurigkeit nicht spüren."

Wir werden so wie früher reden,
sie brauchen vielleicht meinen Rat
und sie erzählen mir von Menschen,
die ich noch im Gedächtnis hab!

Und wieder in den Arm genommen werden,
Gesichter streicheln, die ihr Alles sind!
Sie sind das Liebste, das sie hat auf Erden,
denn sie sind stark - sie hilflos wie ein Kind.

Sie sitzt am Fenster, sieht schon lang nichts mehr,
im guten Kleid mit ihrem blauen Schal
und ihre Augen blicken wieder leer.
Sie kommen nicht. Vielleicht das nächste Mal.

"So viel zu tun, am nächsten Sonntag geht\'s",
das sagten sie am Telefon.
Und dass sie hoffen, sie versteht\'s,
denn so war es ja immer schon ...

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