Lego-Steine am Vierungs-Pfeiler

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Christine Langensiepen aus Maring an der Mosel hat sich über eine Abbildung des Kölner Doms auf der "Welt"-Seite gewundert: Gratulation! Da hat jemand entdeckt, dass man im Bildbearbeitungs-Programm die Fotos aufeinander kleben kann. Seitdem werden im TV immer häufiger die Fotos verdorben. Da kommt doch kein Bild mehr zur Geltung! Verstößt so etwas nicht gegen das Recht des Urhebers?Liebe Frau Langensiepen,ein interessantes Thema. Wo liegen die Grenzen der Bildbearbeitung? Wann beginnt Manipulation? Was ist erlaubt?Im TV vom 27. August war auf Seite 31 das grandiose neue Buntglas-Fenster im Kölner Dom abgebildet, dazu - als Bild im Bild - ein Porträt des Künstlers Gerhard Richter sowie ein Detail des Fensters. Die eingeklinkte Nah-Aufnahme zeigt, wie filigran das Kunstwerk gearbeitet ist. Gut gedacht, schlecht gemacht - beim flüchtigen Hinsehen wirkt es, als hätte jemand Lego-Bauklötze an den Vierungs-Pfeiler des Doms gepappt. Erst nach längerem Studium erschließt sich das Motiv. Ein Hinweis in der Bild-Zeile hätte für Aufklärung gesorgt. Grundsätzlich sind solche Collagen zulässig. Das Motiv wird nicht im Sinne des Urheberrechts verfälscht (allenfalls ästhetisch entstellt, wie im vorliegenden Fall). Die Idee ist, einen Mehrwert für den Betrachter zu schaffen, zusätzliche Informationen anzubieten. Wir wissen: Fotos werden beim Zeitunglesen eher wahrgenommen als Text. Fotos bleiben stärker im Gedächtnis haften. Fotos transportieren Emotionen besser. Die "Bild-Sprache" ist also enorm wichtig.Um komplexe Sachverhalte zu illustrieren oder Themen optisch anzureichern, setzen Redakteure hin und wieder erlaubte Kunstgriffe ein: Bild im Bild, freigestellte Motive, durchaus auch Retuschen (etwa wenn Verdächtige im Zusammenhang mit der Berichterstattung über ein Verbrechen "gepixelt" oder Auto-Kennzeichen auf Unfall-Fotos unkenntlich gemacht werden, um die Persönlichkeitsrechte zu schützen). In ihrer Wirkung seien Bilder "durch keinen Leitartikel der Welt zu übertreffen", meinte in den 1920er-Jahren Kurt Tucholsky. Die Fotografie sei "unwiderlegbar". Ein Irrtum, denn Betrug mit Bildern gibt es seit Erfindung der Daguerreotypie. Legendär etwa der Diktator Stalin: Er ließ in Ungnade gefallene Gefolgsleute "ausradieren", sich selbst dagegen in Fotos hineinmontieren. Im Digital-Zeitalter ist die Manipulation zum Kinderspiel geworden - verführerisch nicht nur für Privatleute, die mit ein paar Mausklicks den Schnappschuss von Omis Geburtstag "schönen", sondern auch für Profis in den Medien. Peinlich, wenn's auffällt. So ergoss sich Hohn und Spott über die Online-Redaktion des Bayerischen Rundfunks, die Kanzlerin Angela Merkel von unschönem Achselschweiß befreite und sie in ein makelloses Ballkleid hüllte. Klick, klick, klick - fertig ist die Retusche. Vor derlei Schwindel ist keine Redaktion gefeit; immer wieder tauchen gefälschte Bilder auf. Im Internet ist daraus ein Sport geworden. Für die TV-Redaktion gilt das Sorgfalts-Gebot: Montagen sind statthaft - Manipulationen tabu.Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende!Peter Reinhart, stellvertretender ChefredakteurFragen zur Zeitung? Lob, Kritik, Anregungen?E-Mail: forum@volksfreund.deBrief oder Postkarte:Trierischer Volksfreund, ForumHanns-Martin-Schleyer-Str. 854294 Trier

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