Leserbrief Aber so war das Leben für die meisten nun wirklich nicht

Die 60er Jahre

Zum Artikel „Die 60er Jahre — eine Lüge“ (TV vom 28. Mai):

Was für eine Schlagzeile! Ein Kind von damals, in den 60er Jahren ein Jahr bis zehn Jahre alt, erzählt hier seine Kindheitsgeschichte. Seine Erinnerungen werden hier verallgemeinert und als typisch für diese Jahre dargestellt. Aber so war das Leben für die meisten nun wirklich nicht.

 Ich selbst, Jahrgang 1950, in dieser Zeit ein Teenager zwischen zehn und 19 Jahren, auch in einem Moseldorf aufgewachsen, erlebte wie auch meine Freunde und Bekannten die 60er Jahre komplett anders.

Mit Ausnahme weniger Familien waren Fernseher, Waschmaschine und Telefon Standard. Ich habe als Schüler auch keinen Lehrer oder Lehrerin erlebt, die Ohrfeigen verteilten, in meiner Zeit als Messdiener auch keinen Pastor, der in irgendeiner Weise Gewalt ausübte.

 Dieses Jahrzehnt bedeutete für uns Jugendliche, die konservativ erzogen wurden, Umwälzung und Aufbruch in eine neue Welt. Der Bau der Berliner Mauer, die erste Mondlandung eines Menschen, die Kubakrise (Angst vor Krieg) und der Prager Frühling (Hoffnung auf Ende des Kommunismus) prägten unser Weltbild.

Für uns pubertäre Jugendliche waren der Minirock und Oswald Kolle natürlich interessanter als die Bürgerrechtsbewegung in den USA oder die Kommune 1 in Berlin, aber wir diskutierten auch diese Nachrichten.

Der Start der Fußball-Bundesliga war ein Großereignis. Für mich war das Wichtigste in dieser Zeit die Revolution in der Musik. Beat, Rock, Psychedelic, Flower Power, Soul und Blues, all das war neu und sensationell. 

 Andererseits wurde dieses Jahrzehnt für mich auch bestimmt durch eine strenge Erziehung und Arbeiten in den Schulferien. Und Disziplin, Respekt, Höflichkeit und Bescheidenheit waren Tugenden, die uns die Eltern gelehrt haben. . Kulturelle Höhepunkte waren die alkoholfreien „Sprudelbälle“ mit Live-Bands aus der Umgebung.

Die 60er Jahre sind für mich bis heute das abwechslungsreichste und innovativste Jahrzehnt. Es hat mich am meisten geprägt und legte den Grundstock für mein späteres Leben.

Natürlich ist meine Schilderung subjektiv. Jeder von uns machte seine eigenen Erfahrungen, egal ob in London, Pünderich oder Zeltingen.

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