Leserbrief Das Ignorieren des Verfassungsgebots des Gesetzgebers ist pflichtvergessen und blamabel

Staatsgeld für Kirchen

Zum Artikel „Warum die Kirchen in Rheinland-Pfalz seit Jahrzehnten Millionen vom Staat kassieren“ (TV vom 21./22. Mai):

Dass der Gesetzgeber über mehr als hundert Jahre hinweg dem Verfassungsgebot (Artikel 138 und 173, Weimarer Reichsverfassung, 1919, und Artikel 140, Grundgesetz) zur Beendigung der Staatsleistungen nicht nachgekommen ist, kann man nur als pflichtvergessen und blamabel bezeichnen. Sehr zu begrüßen ist es deshalb, dass die Ampelkoalition sich vorgenommen hat, ein Ablösegrundsätze-Gesetz auf den Weg zu bringen. Allein, das Thema birgt einige Fallen.

Die öffentliche Wahrnehmung der Staatsleistungen ist geprägt von Legendenbildung, historischem Vergessen und äußerst erfolgreicher kirchlicher Lobbyarbeit. Nicht oft genug betonen kann man, dass es bei den Staatsleistungen nicht um Zahlungen für kirchliche Kindergärten, Schulen und Krankenhäuser et cetera für die Erfüllung öffentlicher Aufgaben geht, sondern um jährlich wiederkehrende Zahlungen der Bundesländer, die in der Regel ohne konkrete Zweckbindung die allgemeinen Haushalte der Kirchen speisen. Zur historischen Begründung wird gerne auf angebliche Enteignungen im Rahmen der Säkularisation der geistlichen Herrschaftsgebiete zu Beginn des 19. Jahrhunderts (Reichsdeputationshauptschluss 1803) verwiesen. Das Problem dabei ist, dass es seinerzeit meines Erachtens gar keine Enteignungen gab. Die geistlichen Gebiete standen nicht im Eigentum der Bischöfe, sondern waren ihnen in Form von Reichslehen zur herrschaftlichen Nutzung übergeben. Allein seit 1949 sind rund 20 Milliarden an Staatsleistungen von den Bundesländern (ausgenommen Bremen und Hamburg) an die Kirchen geflossen. Bei der beabsichtigten Beendigung der Staatsleistungen wird es letztlich nur um eines gehen: ums Geld, das heißt, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die Ablösung in Form der Zahlung einer einmaligen Entschädigung erfolgen soll. Es überrascht nicht, dass die Kirchen unter Verweis auf das Äquivalenzprinzip eine hohe Ablösezahlung einfordern: den Kapitalwert einer dauerhaften Fortführung der derzeitigen jährlichen Zahlungen. Doch bei den Staatsleistungen handelt es sich gerade nicht um immerwährende Zahlungen. Artikel 138 der Weimarer Reichsverfassung, der nach Übernahme ins Grundgesetz die Ablösung vorschreibt, sieht die Staatsleistung als Übergangskonstrukt, nicht als Dauerlösung. Deshalb verbietet sich die Anwendung des Äquivalenzprinzips. Mit Blick auf Entstehungsumstände, Inhalt und Verfassungsintention spricht vielmehr alles dafür, die seit 1919 gezahlten Staatsleistungen bei der Ablösung substanziell zu berücksichtigen.

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