literatur

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Meinung

Warum Günter Grass die Papstrede nicht verstanden hat
Die Lesung von Günter Grass in Prüm hat mich beeindruckt. Was der Nobelpreisträger hingegen glaubt, den Berliner Parlamentariern im TV-Interview ins Stammbuch schreiben zu müssen, kommt mir eher wie billiger Populismus vor. Ein Wortmensch von Grimmscher Prägung wie Grass sollte auch in der Lage sein, Papstworte - vorgetragen in einer bemerkenswerten rechtsphilosophischen Rede - entweder richtig zu verstehen oder zumindest korrekt nachzulesen. Benedikt XVI. hat das positive Recht als "genügendes Kriterium" für einen "Großteil der rechtlich zu regelnden Materien" dargestellt und für diese eine Mehrheitsbeschluss-Entscheidung anerkannt. Mit Verweis auf die Menschenwürde verweist er allerdings auf die potenzielle Fragwürdigkeit solcher Mehrheiten und mahnt die Grenzen des positiven Rechts an, um dann auf die bleibende Bedeutung eines auf die Vernunft gegründeten Naturrechts hinzuweisen. Nicht zuletzt die Debatte um die Präimplantationsdiagonistik (PID) hat gezeigt, dass das Parlament zwar im Endeffekt nach Mehrheiten Gesetze auf den Weg bringen muss, dass aber der einzelne Abgeordnete nach seinem Gewissen entscheidet. Dabei spielen zu Recht nach wie vor naturrechtliche Überlegungen eine gewichtige Rolle. Grass argumentiert schludrig in der Sache. Wie würde er reagieren, wenn etwa die im Grundgesetz verbürgte Freiheit der Kunst einem Mehrheitsbeschluss oder sogar dem Dekret eines Einzelnen geopfert würde. Auch davon gibt die deutsche Geschichte Zeugnis. Grass gehört offenbar zu denen, die die anspruchsvolle Papstrede nicht verstanden haben oder erst gar nicht verstehen wollten. Zornige alte Männer (und Frauen) dürfen nach Grass fast alles sagen - sie sollten aber wenigstens auch alten Menschen richtig zuhören, und wenn es sich dabei um einen Papst handelt, an dem man in der Tat eine Menge kritisieren kann und darf. Franz-Josef Schmit, Wittlich

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