Leserbrief Lüge und Krieg sind Geschwister und gehören zusammen

Ukraine

Zum Artikel „Ukraine fordert mehr Waffen — Moskau gibt sich siegesgewiss“ (TV, 25. Mai) sowie weiteren Artikeln zum Ukraine-Krieg:

Lange Zeit war die Ukraine uns eher fern. Was dort geschah, war für die meisten Europäer zweitrangig. Jetzt hat sich das Bild durch den russischen Überfall grundlegend geändert. Plötzlich ist von Bedeutung, wie und ob der Krieg enden wird. Ob Putin siegt, er dem russischen Reich einen weiteren Mosaikstein zufügen kann und so Flüchtlingswellen von ungeahntem Ausmaß auslösen wird. Das hat Auswirkungen auf Deutschland und Europa.

Ich bin nicht mehr sicher, ob Deutschland weitere 75 Jahre Frieden erleben wird. Inzwischen stimmen sogar Parteien, die Schwertern zu Pflugscharen machen wollten, Kriegseinsätzen der Bundeswehr in aller Welt zu. Auch Forderungen nach Waffenlieferungen in Kriegsgebiete werden immer lauter. Parlamentarier, die sich weit weg in sicheren Gefilden sonnen, sehen keine Soldaten und Zivilisten sterben oder verbluten und haben noch nie von Bomben und Granaten zerfetzte Körperteile aufgesammelt.

Sie machen nun Lockerungsübungen in Sachen Krieg. Wie kommt es, dass Politiker diesen Sprung in die Unmenschlichkeit immer als etwas Erhabenes darstellen, wenn sie ihre Ziele durchsetzen wollen? Edel, hilfreich und gut war der Mensch noch nie. Das wilde Tier in ihm, mühsam gezähmt durch Gesetze, Zivilisation und bei einigen sogar Gewissen, bricht immer wieder aus. Dann führt er Krieg.

In den Blutrauschwellen sterben nicht nur Soldaten und Zivilisten, sondern als erstes Opfer immer die Wahrheit. Lüge und Krieg sind Geschwister und gehören zusammen. Der zynische Missbrauch der Sprache, die Verniedlichung von Grausamkeiten und die Legende vom gerechten Krieg, vom sauberen Krieg sind Märchen. Zivile Opfer sind „Kollateralschäden“, Massaker auch „Befriedung“, Vertreibungen sind  „Umsiedlungen“.

Kriegsverbrechen begeht nur der Feind. Der Sieger macht nie irgendwelche Verbrechen am Gegner. Diktatoren haben es in diesen Umschreibungen zu Meisterschaften gebracht. Hitler nannte den Massenmord an Juden „Endlösung“.

Josef Stalin sagte: „Der Tod eines einzelnen Mannes ist eine Tragödie, aber der Tod von Millionen nur eine Statistik“. Putin sagt zu seinem Krieg „militärische Spezialoperation“, sein Pressesprecher „humanitäre Intervention“. Auch deutsche Parlamentarier reden von Friedensmissionen, Menschenwürde oder robusten Optionen.

Solche sprachlichen Taschenspielertricks benutzt jeder, der seine Interessen mit Mord und Totschlag durchsetzen will. Auch wenn man die Welt auf einen radioaktiven Trümmerhafen reduziert hat, war es nur ein Overkill.

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