Zirkus Mangel an Respekt gegenüber manchen Besuchergruppen

Zu unserem Artikel „Publikumsmagnet Zirkus Flic Flac“ (TV vom 7. September) meint Doris Oesch, Konz:

Am letzten Samstag war ich in der Flic-Flac-Nachmittagsvorstellung. Die Vorzeichen standen bestens für einen tollen Familiennachmittag. Bei Flic Flac kann man ja davon ausgehen, dass sich dahinter ein Hochgenuss verbirgt an atemberaubender Akrobatik, aufwendiger Lightshow, hochgerüsteter Bühnentechnik, einer tollen musikalischen Begleitung, phantasievoller Kostümierung und Maske, viel Humor.

Und so war es auch – und noch mehr: Gleich in der Anmoderation wurde besonders betont, dass im Zelt von Flic Flac kein Platz sei für Rassismus, Sexismus und Homophobie. Als überzeugte Demokratin und Menschenfreundin habe ich diese Ansage wie viele andere Zirkusgäste mit deutlicher Zustimmung begrüßt.

Doch schon kurz nach Beginn der Show habe ich mich gefragt, ob ich da bei der Ansage vielleicht etwas falsch verstanden habe. Bis auf wenige Ausnahmen wird der Zuschauer von leicht bis sehr leicht bekleideten KünstlerInnen durch das Programm geführt. Laszive Choreographien inklusive Domina-Gehabe, Anspielungen auf Poledance und – je nach Sitzplatz – mehr oder weniger tiefe Einblicke in den Intimbereich gehören als wiederkehrendes Element genauso zu dieser Show wie unglaubliche Körperbeherrschung, formvollendete Bewegungsabläufe und hochspannende Akrobatik.

Hat das vielleicht nicht mit Sexismus zu tun, wenn der Zuschauer so nachdrücklich an Frau/Mann/Divers als geschlechtliches Wesen erinnert wird und dabei mehr oder weniger offensichtlich Rollenklischees bedient werden? Die körperbetonten Auftritte von David Eriksson als pink gekleideter Clown und Drag-Queen, der unter anderem  einen Zuschauer auffordert, im Rhythmus der Musik am Reiβverschluss seiner Hotpans herumzunesteln, sind in meinen Augen sowohl schonungslos im Umgang mit dem Schamgefühl mancher Zuschauer(gruppen), als auch stigmatisierend, da die dargebotene Fokussierung dieser sexuellen Orientierung auf äuβere Merkmale, sprich viel Haut, schrille Kleidung, schräge Gestik und Mimik uralte Vorurteile bedient.

Und welche Botschaft wird transportiert, wenn Nonnen sich ausziehen und in aufreizende Badenixen verwandeln, die dem Zuschauer die besagten Einblicke gewähren? Wozu diese oberflächlichen Bezüge? Als Christin kann ich sehr gut tolerieren, dass nicht jeder meinen Glauben teilt, und mein Verhältnis zur Institution Kirche ist auch nicht völlig ungetrübt, aber in meinem Leben spielt der Glaube eine so wertvolle Rolle, dass ich es als Affront und eine traurige Verarmung empfinde, wenn er mit derartigen Assoziationen diskreditiert wird.

Und wie war das jetzt gemeint mit der angekündigten Toleranz im Zirkuszelt im Hinblick auf die Kleinsten unter den Gästen?  Denn immerhin handelte es sich um die Nachmittagsvorstellung, und im Zelt waren erwartungsgemäβ viele Kinder. Ich habe mich gefragt, ob darauf unbedacht keine Rücksicht genommen wurde oder ob die Abendvorstellung den Nachmittag vielleicht noch toppt?

Wo ist der Respekt gegenüber dem Recht dieser Altersgruppe auf eine altersgemäβe Erlebniswelt geblieben? Mir scheint, dass hier die Toleranz gegenüber der Sexualisierung unserer Alltagsbereiche blind gemacht hat und in Schonungslosigkeit umgekippt ist. Die Kinder werden rücksichtslos mit diesen sexualisierten Anspielungen und Darbietungen konfrontiert, ob sie wollen oder nicht.

 Abgesehen davon hätte ich selbst als Erwachsene auch gerne auf diese Einfärbung verzichtet, nicht aus Prüderie, sondern weil ich Akrobatik, Lichtshow, Komik etc auch gerne um ihrer selbst willen genieβen kann und möchte. Für immerhin 54 Euro Zirkuseintritt eine – finde ich – berechtigte Erwartungshaltung, die aber leider nicht toleriert wurde. Wirklich sehr schade, dass die tollen artistischen Darbietungen gepaart daherkommen mit diesem Mangel an Respekt gegenüber manchen Besuchergruppen und das Statement aus der Anmoderation dadurch gehörig konterkariert wird.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort