Zum Leserbrief "Dem Ernst des Lebens nicht gewachsen" (TV vom 21./22. Oktober):
Es ist schon sehr ironisch, darzulegen, dass die Tätowierung eines Menschen auf Oberflächlichkeit schließen lässt, während gerade diese Aussage oberflächlicher nicht sein könnte. Liest man diesen Leserbrief erst bis zum Ende, kann man nur feststellen, dass diese Argumente an maßlose Unverschämtheit grenzen.
So soll eine Tätowierung offensichtlich auf die Zugehörigkeit zur Spaßgesellschaft hinweisen. Sehe ich mich jedoch in meinem sozialen Umfeld um, lässt sich feststellen, dass der Großteil nicht nur tätowiert ist, sondern sich auch in akademischer Ausbildung befindet. Da stellt sich doch die Frage, wieso wir tätowierten Menschen alle möglichen Lehrämter, Sozial-, Heil- und inklusive Pädagogik studieren, wenn wir so wenig Anteilnahme an unseren Nächsten aufweisen. Bin ich meinem zukünftigen Arbeitgeber - in meinem Fall dem Schulleiter - "nicht geheuer", aus dem einfachen Grund, dass ich vollkommen unverfängliche Tätowierungen auf der Haut trage, dann stellt das keinen Ort dar, an dem ich meine Arbeit ausüben möchte. Als zukünftige Lehrerin möchte ich, dass meine Schüler lernen, in einer Gesellschaft zu leben, die "Andersheit" - ganz gleich, wie sie sich darstellt - toleriert, als Bereicherung wahrnimmt und die jungen Menschen in ihrer Individualität fördert.
Ein Mensch, der mich als wenig intelligent und arrogant bezeichnet, ohne überhaupt zu wissen, wer ich bin und was ich mache, weist ein Fehlen an sozialer Wahrnehmungsfähigkeit auf. Dieses Leck an Empathie und Fähigkeit von Perspektivübernahme deutet nicht auf einen reflektierten Menschen hin. Soziale Wahrnehmungsfähigkeit ist eine überfachliche Kompetenz, die unsere Schüler lernen sollen. Vielleicht, lieber Herr Ludwig, sollten Sie sich also eine Weile in unseren Unterricht setzen. Sie brauchen aber keine Angst vor uns zu haben - obwohl wir tätowiert sind.
Alina Sauren, Lehramtsstudentin
Wintrich