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Zum Kommentar "Sternstunden des Gewissens" (TV vom 8. Juli):

Meinung

Trauriger Tiefpunkt
Nein, Herr Kolhoff, die PID-Entscheidung des Bundestags war keine "Sternstunde des Gewissens", sondern ein schwarzer Tag für unser Gemeinwesen. Denn zum ersten Mal seit Bestehen der Bundesrepublik wurde ein Gesetz beschlossen, das die Selektion menschlichen Lebens - wenn auch vorläufig nur in wenigen Ausnahmefällen - legalisiert. Was nach den furchtbaren Erfahrungen des Nationalsozialismus niemals mehr möglich sein sollte, wird nach dem Willen der Mehrheit unserer Volksvertreter in Zukunft wieder passieren: Menschen, diesmal im frühesten Stadium ihrer Entwicklung, werden nicht - wie der irreführende Name Präimplantationsdiagnostik suggeriert - therapiert oder geheilt, sondern einer genetischen Qualitätskontrolle unterzogen und im Falle des Nichtbestehens aussortiert und getötet. Dies grundsätzlich abzulehnen, ist nicht, wie von Kolhoff behauptet, Ausdruck eines religiösen Rigorismus. Es ist vielmehr das durch Christentum und Aufklärung gleichermaßen inspirierte und aus den historischen Erfahrungen gerade unseres Landes erwachsene Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, das die Würde aller Menschen für unantastbar erklärt und sie damit jedem Zugriff durch andere entzieht. Mit der Zulassung der PID wurde ein Paradigmenwechsel eingeleitet, dessen Tragweite heute noch kaum absehbar ist: Wenn die Würde eines Menschen und sein Recht auf Leben anderen Werten wie Glück oder Gesundheit untergeordnet wird, dann kann niemand mehr seines Lebens sicher sein - spätestens dann nicht mehr, wenn er alt, krank, behindert oder in einer sonstigen Weise schwach und lebensuntüchtig geworden ist. Eine Menschenwürde, die per Mehrheitsbeschluss zugewiesen oder aberkannt werden kann, ist ihres Wesensgehaltes beraubt. Um das zu erkennen, muss man nicht christlich oder gar katholisch sein, es reicht aus, sich seines gesunden Menschenverstandes bedienen. Dass der Bundestag dennoch der PID zugestimmt hat, war deshalb keine Sternstunde, sondern ein trauriger Tiefpunkt in der Geschichte unseres Parlaments. Michael Frisch, Trier

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