Sprache und Medien Meine Sorgen möchte ich haben ...

Zum Artikel „Beim Buchstabieren fallen letzte Nazi-Relikte“ (TV vom 21. April) schreiben Heinz-Jörg Merges, Dr. Jörg Schmitz und Werner Reis:

Natürlich haben wir sonst keine Sorgen und kümmern uns um eine althergebrachte und bewährte Buchstabier-Hilfe. Es fällt mir immer schwerer, Zeitung zu lesen und sonstigen Medien meine Aufmerksamkeit zu schenken, wenn ich solche Nachrichten lese. Jetzt ist auch das Buchstabier-Alphabet „Nazi“ dran, weil die Arier angeblich aus der Richtung des Nordpols kommen, muss der Nordpol aus dem Alphabet gestrichen werden. Mir scheint, alles, vom simplen Gebrauchsgegenstand, bis hin zu Redewendungen, Straßennamen und Bezeichnungen, kommt jetzt auf den Nazi-Prüfstand. Warum springt man hier über jedes Stöckchen, das hingehalten wird. Wo fängt es an, wo hört es auf? Als Steigerung steht uns in den nächsten Jahren wahrscheinlich ins Haus, dass alles, was irgendwie „Deutsch“ klingt, zum Beispiel Heimat, Volksmusik oder Nationalmannschaft, umbenannt wird in „Land der länger hier Lebenden“, „Ethnien-Musik“ oder „Regionale Sportgruppe“. Nach der Nazi-Keule kommt die Deutsch-Keule. Aufgrund der letzten Wahlumfragen sind wir auf dem besten Weg dorthin. Umbenennungen sollten behutsam ausgeführt werden, mit Augenmaß und Menschenverstand – davon ist immer weniger zu spüren.

Auffällig ist, dass wir Deutsche immer mehr die Selbstachtung verlieren und jeden, der wieder eine deutsche Eigenheit „entlarvt“, beifallheischend in die Arme schließen. Diese selbstverleumderische Liebe zum Untergang ist nur schwer nachvollziehbar. Hat man kein Gespür dafür dass es zwischen 1933 und 1945 auch noch was anderes gab außer Nazis?

Nur ein Beispiel: Meine beiden Onkel fielen nach einer kurzen Grundausbildung 1944 an der Ostfront. Die Gräber sind unbekannt. Es waren einfache Bauernsöhne, sie hatten ihr ganzes Leben noch vor sich. Sie gingen, weil sie mussten, 18 und 21 Jahre alt, unbedarfte Jungs wie viele andere auch. Nach heutiger politischer Korrektheit aber waren sie alle Nazis. Wie traurig mich das stimmt, wenn ich die Feldpostbriefe der beiden lese. Sie schrieben von Angst, Hunger, Kälte, Heimweh und dem Sinn des Ganzen. Wenn wir es nicht schaffen, zu dieser Meinungsdiktatur auch mal Nein zu sagen, zumindest mal zu differenzieren, dann haben wir aus den „zwölf Jahren“ nichts gelernt.

Heinz-Jörg Merges, Schweich

Karl Kraus und Kurt Tucholsky hatten – geringfügig zeitversetzt – einst formuliert: „Meine Sorgen möchte ich haben.“ Das war um 1930. Dieser Satz ging mir durch den Kopf, als ich am 21. April 2021 unsere Tageszeitung vertikal aufschlug. Erste Seite: Ganz oben ein vorläufig noch entspanntes Gewinnergesicht von Armin Laschet, darunter die Bundesstrafandrohungen bei Corona-Verstößen, und dann kommt es: „Beim Buchstabieren fallen die letzten Nazi-Relikte“. Komprimiert alles auf der ersten Seite. Ich war so was von begeistert. Endlich, endlich fallen alle Relikte. Kurz war ich froh. Dann habe ich die Buchstabiertafel gegugelt. Oder ist googeln politisch korrekter?

Die Buchstabiertafel gibt es für Deutschland (DIN 5009), für Österreich (ÖNORM A 1081) und für die deutschsprachige Schweiz. Ich erkannte kein einziges „Nazi-Relikt“. Nun gut, man bescheinigte mir einst auch eine „Vier minus“ in Deutsch wegen minderen Verstandes. Damit muss ich bis heute leben.

„… letzte Nazi-Relikte …“: Auf diese wundersame Sommerloch-Romanze muss man als Redakteur erst mal kommen. Dabei ist noch gar kein Sommer. Auffällig war immerhin, dass sich „ein gutes Dutzend von Experten“ mit einem augenscheinlich hierzu ersehnten und erdachten Problem beschäftigt. Ein Verein quasi zur Überprüfung der eigenen Unentbehrlichkeit. Notabene: Man sei „in Planung und rechne mit Veröffentlichung des Entwurfs im dritten Quartal des Jahres“. Noch mal: „ein gutes Dutzend Experten“. Für eine Buchstabiertafel. Man ahnt das Brainstorming im Rahmen morgendlicher Redaktionskonferenzen, damit im dritten Quartal ein Entwurf veröffentlicht werde.

Immerhin, das Jahr wurde freundlicherweise noch nicht exakt festgelegt. Das spricht für eine gewisse Rentendynamik. Kalkuliert das „gute Dutzend“ etwa auf Aussitz-Rente?

Dann wurde noch eine Sprachexpertin namens Kathrin Kunkel-Razum zitiert. Sie ist eine Duden-Redakteurin, eigentlich: sozusagen, gewissermaßen, quasi die dynamische Leiterin der Duden-Redaktion. Könnte es sein, dass hier lediglich Wirtschafts-Interessen im Sinne einer Duden-Neuauflage zaghaft angedacht werden?

Meine Sorgen möchte ich haben.

Dr. Jörg Schmitz. Reinsfeld

Lächerlich! Kaum zu glauben, mit welchen Banalitäten in Zeiten steigender Corona-Fallzahlen und damit verbundener persönlicher Schicksalsschläge sich Menschen beschäftigen. Und die dann noch dankbar von der regionalen Tageszeitung auf der Titelseite mehrspaltig der interessierten Leserschaft dargeboten werden.

 Ich werde mit nunmehr 69 kein anderes Buchstabier-Alphabet mehr erlernen und benutzen. Gleichwohl nehme ich für mich in Anspruch, kein ewig Gestriger zu sein. Könnte aber aus meiner langjährigen Militärzeit das bereits existierende Nato-Alphabet anbieten. Der böse „Nordpol“ würde einfach mit „Alpha, Bravo, Charly, November & Co.“ ersetzt. Aber ist das alles wirklich eine Titelstory im Trierischen Volksfreund wert?

Werner Reis, Laufeld

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