Neurotischer Trieb

Zur Diskussion um den Kölner Kardinal Meisner und die Fernseh-Moderatorin Eva Herman meint dieser Leser:

Die inzwischen wieder ausufernde Diskussion über die womöglich drohende Re-Nazifizierung der deutschen Gesellschaft durch verbale "Entgleisungen" von Personen des öffentlichen Lebens wie Frau Herman und Kardinal Meisner empfinde ich als übertrieben. Was Hitlers Familienpolitik betrifft, so ist diese von ihm selbstverständlich aus Gründen der Zeugung möglichst vieler männlicher Kinder, die dem Militär dienen sollten, betrieben worden. Das weiß aber jeder nicht völlig Unbedarfte, und dieser Umstand bedurfte deshalb keiner besonderen Erwähnung. Seine Familien- und Sozialpolitik bedeutete gegenüber Weimarer Verhältnissen dennoch oder gerade deshalb eine Besserstellung der Massen (zumindest, so lange sie ihre Söhne nicht an der Front verloren hatten). Die familiäre Solidarität jedenfalls war in jenen Jahren deutlicher ausgeprägt als in der Überflussgesellschaft unserer Zeit.Der inkriminierte Begriff "entartet" kann doch nicht nur deshalb nicht mehr verwendet werden, weil die Nazis ihn für ihre Zwecke missbrauchten. Die Bayreuther Festspiele beispielsweise hätten dann, weil Hitler Wagner und dessen Opern bewunderte, längst auf dem Altar politischer Korrektheit geopfert werden müssen. Alle politisch Namhaften besuchen sie jedoch regelmäßig. Nach meinem Dafürhalten lässt sich die augenblickliche politisch korrekte Empörung über die von den zwei Genannten gebrauchten Aussagen beziehungsweise Begriffe weniger auf deren Inhalt und Vokabular zurückführen als auf den geradezu neurotischen Trieb derjenigen, die die zwar vor Wahlen als "mündig" apostrophierte, in Wirklichkeit aber eben doch als einfältig und immer noch anfällig für braunes Gedankengut erachtete Bevölkerung (nicht Volk!) moralisierend zu belehren versuchen und sich damit selbst als untadelig und vermeintlich weitblickend darstellen.Axel Skubella, Konz KARDINAL MEISNER und EVA HERMAN

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