Leserbriefe Olle Kamellen, oberflächliche Phrasen

Zu den Artikeln „Region schlägt Kapital aus Marx“ und „Was nur macht den Mann so sexy“ (TV vom 3. April) schreiben Rolf Richter, Christian Bock, Günther Salz und Gesa Nortmann:

Was macht Katharina de Mos in den Augen des TV so kompetent, dass sie eine Seite zum Thema Marx vollschreiben darf? Die Autorin selbst gesteht einleitend, dass sie bei Texten mit „vielen Substantiven“ und „wenig Verben“ und einem „veralteten Vokabular“ Verdauungsbeschwerden bekommt und daher „so wenig Sinn“ entdecken kann. Da ist es konsequent, dass sie auf eigene Gedanken verzichtet und sich an Autoritäten hält, die offenbar mit der gehörigen Proportion von Substantiven und Verben arbeiten und damit Sinnvolles produzieren. Dazu gehört eine promovierte Autorin, die einige Jahre Hausbesorgerin in Marx´ Geburtshaus war, dann noch eine Lohnschreiberin der taz, die eine „gefragte Marx-Expertin“ ist, weil sie Bücher wie „Der Sieg des Kapitals“ und „Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung“ verkauft hat und schließlich – ein Professor ist immer dabei – ein Gelehrter, der seinen krisenfesten Arbeitsplatz den von ihm erforschten Finanzkrisen verdankt. Der passt auch prima, weil er mit ganz wenig Substantiven und Verben auskommt, indem er – glaubt man seiner Webseite – Grafiken fertigt, und zwar dynamische.

Was nun Marx betrifft, über den diese Koryphäen angeblich etwas wissen, so ist der Erkenntnisgewinn äußerst mager. Mehr als die ollen Kamellen aus dem Sozialkundeunterricht bieten sie auch nicht: „Hartz IV statt Hungertod“. Na super, wenn das kein Grund zur Zufriedenheit ist … Jetzt könnte es sein, dass es doch noch Leute gibt, die den Unterschied von einer Beschreibung und einer Erklärung wissen und an letzterer interessiert sind. Ihnen sei die Webseite der Zeitschrift Gegenstandpunkt und dort das Archiv empfohlen.

Aber Achtung: Es wimmelt dort von Substantiven und Verben. Wer das als unbekömmlich empfindet, ist mit Katzenvideos bei YouTube besser bedient.

Rolf Richter, Schöndorf

In der Regel sind Artikel von Frau De Mos ja immer lesenswert. Aber dieser Doppelschlag zu Karl Marx war starker Tobak, vor allem die Ansichten der „Experten“. Ich nehme mal drei Beispiele.

Erstes Zitat (von Beatrix Bouvier, Historikerin): „Kein anderer Denker hätte dieses Blutbad überlebt.“ Doch. Ohne zu rechnen behaupte ich mal, dass die Zahl der Toten im Namen Jesu Christi die Toten im Namen Marx’ noch übersteigt. Leider sind die Namen der Vordenker des Neoliberalismus weitgehend unbekannt. Sonst könnte man denen zum Beispiel die Namen der Verhungerten zuschreiben, die gestorben sind, weil irgendwelche Geierfonds Dritte-Welt-Länder zur Rückzahlung von Staatsschulden gerichtlich gezwungen haben, denen dann das Geld zur Ernährung der eigenen Bevölkerung gefehlt hat.

Zu behaupten (zweites Zitat) “[...] Marx’ größter Fehler war wohl, zu glauben, dass die breite Klasse des Proletariats völlig verelenden würde [...] Er hat nicht vorhergesehen, dass es den Arbeitern im Kapitalismus gutgehen würde [...]”, ist wohl nur bei völliger Ausblendung der Realität möglich. Wenn man mit der breiten Klasse des Proletariats nur zum Beispiel die wenigen VW-Bandarbeiter in Wolfsburg meint, die unter den VW/IG-Metall-Haustarif fallen, dann ja. Wenn man aber auch die prekäre Beschäftigung in Deutschland sieht, oder aber den Blick weitet und die Arbeiter bei Foxcon in China einschließt, die für uns die iPhones zusammenbauen, bis sie sich aus dem Fenster stürzen; oder die Frauen, die in Bangladesch unsere Kleider zusammennähen, bis das Gebäude zusammenbricht; oder die oft Minderjährigen, die im WM-Jahr die Adidas-Tango-Bälle für 50 Cent pro Ball zusammennähen, statt zur Schule zu gehen –  dann sieht man, dass Marx doch recht behalten hat.

Drittes Zitat: „Ein anderer großer Fehler in Marx’ Theorie war laut Christian Bauer, zu glauben, dass die Konzentration des Kapitals so weit gehen würde, dass es am Ende nur noch ganz wenige gibt, die alles besitzen.“ Was? Ich kann doch wohl vom Inhaber des Lehrstuhls für monetäre Ökonomie an der Uni Trier erwarten, dass er die globale und auch in Deutschland statistisch nachgewiesene Entwicklung kennt, dass die Armen immer ärmer und mehr werden, aber die wenigen Reichen immer reicher werden! Vielleicht hat Karl Marx nicht mit allem recht gehabt. Aber ihn für Gräueltaten unter Stalin und Mao verantwortlich zu machen, ist doch sehr gewagt, und lenkt vor allem – gewollt oder nicht gewollt – von der eigentlichen schönen Utopie ab, die wohl für 99 Prozent der Weltbevölkerung erstrebenswert wäre: eine freie und klassenlose Gesellschaft, die nicht von den wenigen, die das Geld haben, beherrscht wird, sondern alle in Frieden daran teilhaben lässt.

Christian Bock, Tawern

„Was nur macht den Mann so sexy?“ fragt Katharina De Mos auf der Suche nach Antworten auf die Frage, warum Marx heute noch aktuell und in aller Munde ist. Entsprechend der Fragestellung fallen denn auch die Antworten aus.

Der populär gemachte Artikel strotzt nur so von oberflächlichen Phrasen, Beschreibungen und Feststellungen. So wird behauptet, dass das System, das Marx für seine Zeit beschrieben hat, doch jeder aus eigener Anschauung kenne. „Denn es prosperiert.“ Soll das ein Beweis für Kenntnis sein? Und kenne nicht jeder die Entfremdung, trotz aller Freizeit, die wir haben, fragt die Autorin. Als ob die „Freizeit“ das „Reich der Freiheit“ (Marx) jenseits der Lohnarbeit sei! Dann kommt die Frage, bei der man sich an den Kopf fasst: „Sind wir nicht alle ein bisschen entfremdet?“ Als ob es um ein bisschen mehr oder weniger ginge und nicht um das Privateigentum an Produktionsmitteln, das die Lohnarbeit –  und damit Entfremdung – zur Voraussetzung und Folge hat.

Generell haben die Autorin und die beigezogenen Experten nur den „exoterischen Marx“, den nach außen gewendeten Wissenschaftler, und die oberflächlichen Erscheinungen des Kapitalismus im Blick, was wohl auch eine Folge der Fragestellung ist, ob denn Marx mit seinen „Prognosen“ richtig oder falsch gelegen habe. Aber Marx war kein Prognostiker, sondern Analytiker und Kritiker, der die Widersprüche und Verkehrungen im Kapitalismus aufgedeckt hat. Kennt die jeder? Wie der Artikel beweist: leider nicht.

So entgehen Autorin und Experten die wichtigsten und aktuellsten Sachverhalte, die Marx dargelegt und kritisiert hat: der Doppelcharakter der Ware, der für Marx der „Springpunkt“ seiner Analyse war; der „Wert“ als ein zwanghaftes und undurchschautes soziales Verhältnis, welches durch abstrakte Arbeit erzeugt wird, ebenso wie der damit zusammenhängende Feti­schismus, ein Zustand gesellschaftlicher Bewusstlosigkeit, den Marx mit seiner dialektischen Methode und der Unterscheidung zwischen der Erscheinung und dem Wesen der Dinge aufgebrochen hat. Das alles scheint heute vergessen zu sein. Wohl, weil der Kapitalismus so „prosperiert“.

Angesichts der aktuellen Weltlage mit ihren Krisen und Kriegen, der hemmungslosen Ausbeutung von Mensch und Natur, den fallenden Staaten und dem Hunger in der Welt ist Marx aktueller denn je. Denn es gilt, „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist [...]“. (Marx‘ kategorischer Imperativ in der Kritik der Hegel’schen Rechtsphilosophie von 1843/44.)

Günther Salz, Mitglied der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung Trier

Ich hoffe, dass für alle Studenten, Schüler und Rentner der Besuch der Karl-Marx-Ausstellungen ohne Kapital (Eintrittsgeld) möglich ist!

Gesa Nortmann, Trier

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