Politik

Zum Artikel "Explosive Stimmung in Athen" (TV vom 30. Januar) und zu den Plänen der europäischen Staats- und Regierungschefs zur Rettung Griechenlands:

Wäre ich Grieche, würde ich zwischen Wut und Scham schwanken. Wut wegen der als Anmaßung empfundenen fremdgesteuerten und teilweise aufgehobenen Souveränität meines Landes, also meiner eigenen, denn ich bin ja der Souverän (neben einigen Millionen anderer). Schämen würde ich mich wegen meines offensichtlich falschen Wahlverhaltens: Das von mir (mit-)gewählte Parlament und die indirekt von mir bestellte Regierung haben fehlerhaft gearbeitet, vorsichtig formuliert. Ich trage als Souverän die Endverantwortung dafür, gottlob nicht alleine. Das ist praktisch und entlastend. Wie habe ich doch gejubelt, als der EG- und später der Euro-Beitritt meines Landes klargingen. Meine Frust-Emotionen kochen jetzt hoch, umso mehr, weil ich nicht nur meine nationale Würde, sondern auch noch meinen Arbeitsplatz verliere, da zumindest mein Einkommen geringer wird und die Zukunft meiner Kinder auf dem Spiel steht. Der deutsche Vorschlag, einen EU-Kommissar über das Haushaltsrecht des griechischen Parlaments zu setzen, macht Deutschland in Hellas nicht nur unbeliebt bis zum wieder aufgewärmten Hass (Griechenlandreisende werden es vermutlich zu spüren bekommen), mehr noch berührt er die hochsensiblen Grundfragen zur demokratischen Legitimation staatlichen Handelns: Wie viel Demokratie darf es geben, muss es geben, soll es geben? Ist das Volk, der "große Lümmel" (Heinrich Heine), eigentlich in der Lage, verantwortungsgerecht zu entscheiden? Wie mündig, wie informiert, wie rational, wie vernünftig ist ein "Volk"? Ist es legitim, für sein Unglück selbst sorgen zu können? Hitler und die letzten halbwegs freien Wahlen im Deutschland von 1933 lassen grüßen. Welche Rolle spielen die Beeinflussungsmedien, die sogenannten Meinungsmacher? Medienfreiheit steht hier gegen Medienverantwortung. Im Übrigen bin ich der Meinung: Griechenland sollte zur Drachme zurückkehren und einen gesamteuropäisch, das heißt vor allem von Deutschland und allen EU-Banken getragenen Marschallplan erhalten. Ludwig Erhard lässt grüßen, Josef Ackermann und Anshu Jain (der alte und der neue Chef der Deutschen Bank) nicken - bedauernd. Ich bin gespannt, was die europäischen Souveräne dazu sagen würden, wenn man sie denn fragte. Michael Wilmes, Ralingen-Wintersdorf

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