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Zum Artikel "Die meisten Genossen sagen Ja zur Koalition, aber mit Bauchschmerzen" (TV vom 6. Dezember):

Wenn man sich die Debatte anschaut, scheint das Ergebnis der SPD-Mitgliederbefragung schon festzustehen. Umfragen sehen eine Mehrheit für die Annahme des Koalitionsvertrages und damit für die große Koalition. Gleichzeitig wird davon gesprochen, dass viele Mitglieder nur ,,unter Bauchschmerzen" zustimmen. Woher rührt dieses Bauchweh und vor allem, warum scheint es unausweichlich? Trotz der erreichten Erfolge, die der Parteivorstand aufzählt, um die Parteimitglieder auf Linie zu bringen (die Empfehlung, mit Ja zu stimmen, liegt dem Abstimmzettel bei), könnte ein SPD-Mitglied das Ergebnis aus anderer Perspektive erheblich relativieren. Die Zwei-Klassen-Medizin bleibt, Reichensteuern gibt es nicht, die Energiewende wird stark ausgebremst und für die großen Konzerne aufbereitet, die totale Überwachung durch die Geheimdienste der USA scheint niemandem wichtig, zur Europapolitik findet sich kaum etwas, und auch das Herzstück, der Mindestlohn, kommt ohne Inflationsausgleich und erst 2017 ohne Ausnahmen. Ein weiterer wichtiger Punkt wird der Gedanke an weitere vier Jahre in Muttis Schatten sein. Niemand wird ernsthaft annehmen, dass diese SPD der erstarkten CDU/CSU nun das Regierungsheft aus der Hand nehmen und eventuelle Erfolge sich, Misserfolge aber der Union zuschreiben könnte. Was oder wer sagt den Genossen, dass sie nicht dem Weg der FDP folgen und, wie schon 2005 bis 2009, an den Rand der Bedeutungslosigkeit regiert werden? Weil diese Gefahr sehr real und realistisch ist, ist das Bauchgefühl nicht nur natürlich, sondern auch konsequent! Der gefühlte Zwang zur Zustimmung rührt aus der angeblichen Alternativlosigkeit. Das Wort "alternativlos" wurde nicht umsonst Unwort des Jahres 2010, denn erstens erübrigt sich damit jede demokratische Wahl, welche die Mitgliederabstimmung trotz zweifelhafter ,,Entscheidungshilfen" ja darstellen soll. Zweitens sind Koalitionsbauchschmerzen nicht nur für die SPD reserviert, auch einige Grüne scheinen damit zu liebäugeln. Drittens gibt es gute Gründe anzunehmen, dass eine SPD, die ihren Mitgliedern das Vertrauen entgegenbringt, in Einklang mit Bauch und Verstand ihre Entscheidung zu treffen, keine Angst vor Neuwahlen haben müsste. Die SPD in der Opposition, unabhängig davon, ob Minderheitsregierung von CDU/CSU, Schwarz-Grün oder nach Neuwahlen, hätte die Chance, ein starkes Signal für einen echten Wandel in der Politik zu geben, indem sie mit wechselnden Mehrheiten ihre Inhalte durchsetzt. Diese Möglichkeit wird beim Für und Wider der großen Koalition vergessen oder nicht ernsthaft diskutiert. Bleibt die Frage, warum nicht. Gabriela Linden, Temmels

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