Leserbrief Putin versucht, die Ukraine im „High-Noon-Verfahren“ zu unterwerfen

Zum Leserbrief „Hat irgendein westlicher Politiker Rücksicht auf die Sicherheitsinteressen Russlands genommen?“ (TV, 5. März):

Jawohl, die Nato hat Fehler gemacht, aber das rechtfertigt keinen Krieg. Nach der großen Zeitenwende 1989/1990 arbeiteten die Nato  und Russland in Fragen der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik zunächst gut zusammen. Mit Unterzeichnung der „Grundakte über gegenseitige Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit zwischen der Nato und der Russischen Föderation“ (1997) wurde diese Kooperation gefestigt. 1999 wurden Polen, Tschechien und Ungarn ohne großes russisches Murren in die Nato aufgenommen. 2002 wurde die Partnerschaft zum „Nato-Russland-Rat“ weiterentwickelt. Mit der Aufnahme von sieben weiteren Staaten in die Nato 2004 sah sich Russland sicherheitspolitisch bedrängt und seine eigenen Interessen zunehmend beeinträchtigt.

Allerdings wurde diese Erweiterung weniger von den USA betrieben; sie war vielmehr auf das intensive Bestreben der der sowjetischen Vorherrschaft entronnenen Staaten zurückzuführen, die ihre neu gewonnene Souveränität in dem Verteidigungsbündnis Nato abzusichern suchten.

Diese Staaten aber als amerikanische Marionetten zu bezeichnen, sticht aus meiner Sicht nicht. Auch wurden die zunächst von amerikanischer Seite initiierten Pläne für ein angeblich gegen den Iran gerichtetes Flugabwehrsystem im Südosten Europas, ohne Einbeziehung Russlands, von Putin als Provokation empfunden. Er sah die Verlässlichkeit der Nato infrage gestellt.Die Stabilisierung der Demokratie in der Ukraine und ihre zunehmenden Westorientierung bewertete Putin als Bedrohung seines Einflussbereichs. Die Folge war der zunächst noch „vorsichtige“ Kriegsbeginn 2014 gegen die Ukraine im Donbas mit der gleichzeitigen Besetzung der Krim zur Absicherung des ungehinderten Zugangs zur Schwarzmeerflotte. Als Reaktion begann die Nato auf Antrag der sich zunehmend bedroht fühlenden osteuropäischen Nato-Staaten deren Verteidigungsbereitschaft zu stärken – und zwar ohne offensive Ausrichtung. Unnötigerweise verletzte die Aussage des ehemaligen US-Präsidenten Obama, Russland sei bestenfalls noch eine Regionalmacht, Putins Stolz, ließ ihn weiter auf Distanz zur Nato gehen und die eigene Aufrüstung massiv betreiben. Russland zog sich aus dem Nato-Russland-Rat zurück. Wegen der durch das Afghanistan-Debakel geschwächten Nato sieht Putin nun meines Erachtens die Chance, seine Großrussland-Phantasien durchsetzen und die Ukraine einem vermeintlich westlichen Zugriff zu entziehen. Nicht die USA, sondern Putin sucht in einem „High-Noon“-Verfahren eine völkerrechtswidrige, kriegerische Unterwerfung eines Landes und die Zerstörung einer mehr als 30 Jahre andauernden europäischen Sicherheitsstruktur.

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