Qual der Wahl, Wahl der Qual

Politik

Zu den Analysen "Parteien im Check: Wer will was?" (TV vom 15. und 16. August):
Wer die Wahl hat, hat die Qual, heißt ein Sprichwort. So sollen wir uns also bis zum 24. September entscheiden, wen wir in der Regierungsverantwortung sehen möchten. Ach - so viele Parteien bewerben sich da. Einige davon sind krasse Außenseiter, einige Mitläufer, und dann gibt es noch ein paar, die schon immer dabei gewesen sind.
Da ist zum Beispiel die FDP, die es wieder packen will, in den Bundestag einzuziehen. Mit ihrer Einmann-Show Christian Lindner bringt sie es in Umfragen auf grandiose acht Prozent. Wahlslogans wie "Blaues Wachstum", "One in, two out" oder ganz generell "Denken wir neu" lassen sogar alte FDP-Hasen im Regen stehen - versteht keiner.
Die Grünen wettern gegen alles und jedes. Ob Köln oder Hamburg - der Polizei traut man alles zu, nur nicht, dass sie die Bürger schützt, und wenn doch, dann tut sie dies auf unverhältnismäßige Weise. Die Abkehr vom Pazifismus, mit dem sie in ihren Anfängen Wähler begeistern konnte, hat die Partei spätestens mit Afghanistan vollzogen. Ihr heutiges Jonglieren in der Koalitionsfrage macht die einstige Ökopartei nicht glaubwürdiger.
Der Hype, den Martin Schulz bei den Genossen ausgelöst hat, ist längst verflogen. Hundert Prozent Zustimmung aus dem Parteivolk - für erstmals nichts. Mit Verlaub, das hatte nicht mal der große Willy Brandt in seinen besten Tagen geschafft. Angetreten als ein Politiker, der die Gesellschaft gerechter machen will, erhielt Schulz bereits einen Tag nach seiner Rede eine schallende Ohrfeige ausgerechnet von der Genossin, die sich von VW zwölf Millionen Euro für ein Jahr Arbeit ausbezahlen ließ. Wie sehr kann man den Kanzlerkandidaten noch düpieren? Heute kritisiert er die Flüchtlingspolitik Angela Merkels, die er ein Jahr zuvor mitgetragen hat. Welche Scheinheiligkeit!
Und dann die seltsamen Aussagen des niedersächsischen Ministerpräsidenten zum VW-Skandal. Weil erweckte in einem Interview den Anschein, als dürfe sich ein Konzern, der Millionen Arbeitsplätze schafft, über Recht und Gesetz erheben. Die Politik, getrieben und kontrolliert von Dax-Konzernen. Sieht so Gerechtigkeit aus, wie sie die SPD versteht?
Und die Kanzlerin schweigt. Man weiß nicht so recht, steht sie nun auf den Seiten der Bürger oder aufseiten des Kapitals und der Wirtschaftsbosse? Steht sie zu ihren Aussagen zu Beginn der Flüchtlingskrise oder fährt sie einen anderen Kurs? Hat sie den Schneid, einem amerikanischen Präsidenten so zu begegnen, wie sie dies bei Wladimir Putin oder Recep Erdogan tut? Oder heiligt in unseren Beziehungen zu den USA der Zweck alle Mittel?
So betrachtet scheint es mir, als hätten wir am 24. September nicht die Qual der Wahl, sondern die Wahl der Qual.
Horst Schorle
Ingendorf

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