Schlag nach bei Shakespeare

Leser fragen, die Chefredaktion antwortet

Jetzt bist du ein Bayern-…". Ist es unbedingt notwendig, dass der zuständige Redakteur die absolute Unfairness solcher "Fans" präsentiert? Mit solcher Arbeit kann er jedenfalls dem oft betonten seriösen Anspruch des TV nicht gerecht werden. Lieber Herr Pelzer, vielen Dank für Ihren Brief. Grobes Foulspiel? Gelbe Karte für den Volksfreund? Nein. Die Frage, was berichtet wird, orientiert sich nicht an Kategorien wie "gut" und "schlecht", "schön" und "hässlich", "gerecht" und "ungerecht". Würden wir nur über das Gute, Schöne und Gerechte schreiben, wäre die Zeitung ziemlich dünn. Wir bilden die Welt ab, wie sie ist, und versuchen, sie zu deuten. Das ist der seriöse Anspruch. Unseriös wäre es, wenn wir etwas weglassen würden, bloß weil es nicht gut, schön und gerecht ist. Übertragen auf den Sport: Titel, Tore und Triumphe sind zu bedichten, na klar, aber auch Tränen, Trauer und Tragödien. Geschichten über das Runde, das ins Eckige bugsiert wird, und Hintergründe über das Drumherum. Fußball ist Spektakel, Fußball ist Geschäft, Fußball ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. Und für manche eine Ersatz-Religion: Fanatiker, die ihren Gott (Verein, Spieler) anbeten - und keine anderen Götter (andere Vereine, andere Spieler) dulden. Zweifelsohne war die Rückkehr von Manuel Neuer "auf Schalke" das Bundesliga-Thema des vorvergangenen Wochen endes. Ein emotionaler Moment, ein bühnenreifer Stoff: Der gefeierte Held verlässt die Heimat, an der sein Herz hängt, und heuert, schluchz, des schnöden Mammons wegen beim übermächtigen Feind an. Auf seiner großen Lebensreise kehrt der Abtrünnige an den Schauplatz früherer Glanztaten zurück und wird als Verräter beschimpft - von denen, die ihn einst abgöttisch liebten. Großes Drama. Schlag\' nach bei Shakespeare. Tagelang ist vorab spekuliert worden, wie Neuer die Zerreißprobe wohl übersteht. Die Fußball-Nation schaute genau hin, ob er im Spiel auf Provokationen reagiert. Um die Antwort (= gar nicht) drehten sich hernach die Sport-Aufmacher in den Zeitungen. Wie fast alle Blätter hat der Volksfreund den Konflikt in Wort und Bild aufgearbeitet. Genauer: in zwei Bildern. Groß: der Mann zwischen den Pfosten, ruhig, unerschütterlich. Klein: die geifernden Fanatiker mit ihren dumpfbackigen Parolen. Die beiden Fotos erzählen die ganze Story. Verschweigen? Ausblenden? Ignorieren? Es ist wichtig aufzuzeigen, wie sich die Horden auf den Tribünen gebärden. Im Stadion lässt sich, extrem verdichtet, ein gesellschaftlicher Trend beobachten: Alle Menschen werden rüder. Sportliche Grüße! Peter Reinhart, stellvertretender Chefredakteur Lob, Kritik, Anregungen? E-Mail: forum@volksfreund.de

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