Schnäppchen-Weihnachten bei den Schlottmanns

In einer Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat, lebte einmal Familie Schlottmann: Mama Schlottmann, Papa Schlottmann, Amelie Schlottmann, Franziska Schlottmann, Thomas Schlottmann, Klein-Heinz Schlottmann und das kleine Baby Claudia Schlottmann.Wenn Schlottmanns miteinander Streit hatten oder einer von ihnen traurig war, dann musste irgendjemand nur ein Wort flüstern oder singen und alle wurden wieder fröhlich und dieses Wort hieß: ’Weihnachten’.

Bei 'Weihnachten' kribbelte es im Bauch, auch, wenn es keinem nach kribbeln zumute war. In dieser Zeit, besonders aber am 'Heiligen Abend', war die Welt verzaubert, da waren sich alle einig. Schon morgens, wenn man aufwachte, roch es im ganzen Haus anders, nach Wald und Schokolade und Zimt und Äpfeln. Natürlich lag das daran, dass vorher fleißig gebacken worden war, dass Papa am Vorabend die große Tanne in das Wohnzimmer geschleppt hatte und Mama zum Frühstück Bratäpfel grillte. Nie hatte man sonst das Gefühl, über allem läge ein feiner goldener Staub, der die Welt zum Glitzern brachte.
In diesem Jahr aber waren Schlottmanns gerade vorher umgezogen. Kein Mensch sonst zieht kurz vor Weihnachten um, aber Schlottmanns schon. Und jetzt wohnten sie also in dem großen blauen Haus neben dem Friedhof und hatten ganz viel Platz. Alle waren zufrieden - nur Thomas nicht: "Wieso sind wir nicht erst nach Weihnachten umgezogen?", maulte er. "Das Haus war eben schon früher fertig", antwortete Mama, aber mit dieser Antwort konnte er nicht viel anfangen: Das Haus war vielleicht fertig, aber er, Thomas, war es nicht. Und wenn er sich jetzt hier so umschaute - für die übliche Weihnachtsvorbereitung war keine Zeit gewesen, keine Bilder an der Wand, keine Regale, keine Lampen und keine Vorhänge, überall unausgepackte Kisten - nein, so sah seiner Meinung nach ein fertiges Haus vor Weihnachten nicht aus: "Wie sollen wir hier bloß Weihnachten feiern? Und weiß das Christkind eigentlich, dass wir umgezogen sind?"
Thomas hatte dieses Jahr wirklich keine Lust auf Weihnachten, auch nicht zwei Tage vor Heiligabend. Missmutig ging er hinaus. Das Haus, das neben dem ihren stand, war noch nicht fertig gebaut, kurz vor Weihnachten arbeitete auch niemand darin, still stand es da, es gab noch keine Tür und keine Fenster, und Thomas dachte, es könnte vielleicht spannend sein, sich dieses Haus einmal von innen anzuschauen.
Als Klein-Heinz eine halbe Stunde später aus dem Fenster schaute, sah er seinen Bruder, wie er aus dem Nachbarhaus kam. Irgend etwas hielt er beschützend im Arm, er ging ganz langsam und vorsichtig. Klein-Heinz rannte zur Haustür - da stand Thomas und ein kleines Fellbündel lugte vorwitzig unter seiner Jacke hervor. "Ja was denn?", rief Klein-Heinz und streichelte das winzige Köpfchen der abgemagerten kleinen Katze, die schnurrte und vor Wonne unter Klein-Heinz' Händen die Augen schloss. "Ein Weihnachtskätzchen", flüsterte Klein-Heinz. Gelb leuchtete das Fell, die Pfötchen aber waren weiß. Hier und da hatte es braune Tupfen, als hätte ein Maler seinen Pinsel über ihm ausgeschüttelt.
"Ich nenne es Flecki", sagte Thomas und Klein-Heinz nickte. So stolz sah Thomas aus, froh und glücklich! Keinen Moment schien er zu zweifeln, dass er das Kätzchen behalten durfte, in ihrer neuen Herberge war ja wirklich genug Platz! Sein ganzes Gesicht war ein einziges Leuchten.
Da kam ein alter gelber Mercedes hupend vorgefahren. Auf seinem Dach war ein in ein grünes Netz gewickeltes Etwas festgebunden.
"Opa, das ist Opa", rief Klein-Heinz und rannte hinaus: "Opa, guck mal, was Thomas gefunden hat!"
Kein Mensch sonst auf der großen weiten Welt fuhr in solch einem gelben, verrosteten, stinkenden Auto herum außer Opa. "Habe uns für unser Weihnachtsfest was mitgebracht". Opa zeigte auf die Rolle auf seinem Dach.
"Ich komme gerade vom Autohändler. Da habe ich mir vier neue Winterreifen auf Caruso aufziehen lassen". 'Caruso', so nannte Opa sein Auto, denn niemand sang so schön wie sein Auto, was ihn an einen berühmten Sänger erinnerte, der vor unglaublich langer Zeit einmal gelebt hatte.
"Und wisst Ihr was? Bei vier neuen Reifen bekommt man einen Tannenbaum gratis dazu."
Ja, das zusammengerollte Ding auf dem Autodach war tatsächlich ein Tannenbaum.
Und ja, Opa war ein Schnäppchenjäger. Die ersten Male, die er sie im neuen Haus besucht hatte, ging er zum Beispiel danach immer über den Friedhof und wühlte im Grünabfall nach weggeworfenen Blumen, die noch blühten. Die Wochenenden verbrachte er damit, die Werbeprospekte für die kommende Woche miteinander zu vergleichen, und dann plante er seine Einkäufe für die ganze große Familie. Ob das, was er kaufte, wirklich gebraucht wurde, war nicht so wichtig, Hauptsache, es war ein Angebot. "Irgendwann werdet ihr es brauchen", war sein Motto.
Über Flecki war er begeistert: "Siehst du, es geht nichts über Schnäppchen und ein Schnäppchen ist deine Flecki ja wirklich. Hat ja garnix gekostet."
Nur der Baum - viel war von ihm ja noch nicht zu sehen, aber man konnte schon erkennen, dass die Höhe nicht so ganz der Vorstellung entsprach, die sich die Schlottmanns von ihrem neuen Weihnachtsbaum in ihrem neuen Haus gemacht hatten. Er duftete auch überhaupt nicht nach Wald, er roch nach gar nichts. Papa trug ihn hinters Haus. Er war geradezu federleicht, der Baum, und Papa wusste aus Erfahrung, dass eine große Edeltanne schon einiges an Gewicht aufzuweisen hatte, die konnte man nicht so leicht auf einer Schulter tragen. Er seufzte.
Aber Thomas hatte sich in seinen Eltern nicht getäuscht: Er bekam von Mama einen alten Schuhkarton, in den er eine kleine Puppendecke legte. Klein-Heinz streichelte währenddessen das Kätzchen, füllte Milch in eine Schüssel und machte alles genau so, wie Thomas es ihm sagte. Mama befüllte eine leere Umzugskiste mit gelbem Bausand und schnitt ein Loch als Eingang hinein, das war nun Fleckis Klo. Die Augen des Kätzchens waren rot und vereitert. Fast verhungert und halb erfroren hatte Thomas die Katze auf einem alten Lappen im Keller des Rohbaus nebenan gefunden, lange hätte sie dort nicht mehr überlebt. Mama zeigte ihm, wie er die Augen mit einer Lösung aus Kamille auswaschen musste. Flecki schnurrte und ließ sich alles gerne gefallen. Heute ging Thomas ganz früh ins Bett und streichelte die ganze Zeit sein kleines Kätzchen, das in seinem Karton neben dem Bett zusammengerollt immer weiter schnurrte. Als hätte sie einen kleinen Motor eingebaut, dachte Thomas, und er war so glücklich wie noch nie in seinem Leben. Flecki gehörte ihm. Ihm allein. Sie war so süß, so warm, so kuschelig. Vorsichtig nahm er die kleine Katze aus dem Karton und legte sie neben sein Gesicht auf das Kopfkissen. Flecki streckte die Pfötchen aus, bis sie damit seine Wange und seinen Hals berührte.
Am nächsten Tag wollten natürlich alle den Baum in seiner ganzen Pracht sehen. Papa trug ihn ins Wohnzimmer, schnitt das grüne Netz ab und rüttelte und schüttelte ihn, wohl deshalb, damit die Äste sich lockern und entfalten sollten. Als der Baum begann, Nadeln zu verlieren, hörte Papa mit dem Schütteln auf. Längere Zeit sagte niemand mehr etwas.
"Also, ich finde ihn gar nicht so schlecht, wenn wir jetzt Kugeln daran hängen und Girlanden, dann sieht er bestimmt ganz schön aus." Das war natürlich Amelie.
"Ich könnte unten ein paar Äste abschneiden und sie oben, da, wo er so kahl ist, in den Stamm bohren. Dann sieht er bestimmt noch schöner aus." Papa drehte und wendete den Baum hin und her.
Thomas saß auf dem Boden, die kleine Flecki in seinem Schoß. Sie hatten einen Baum, er hatte Flecki, morgen war Heiliger Abend: "Der arme Baum. Warum müssen Tannenbäume immer besonders dicht sein oder gerade? Wir haben einen krummen und mickrigen Baum, das macht doch nichts."
Und streckte und reckte der nicht gerade seine Ästchen in die Luft, so, als wollte er zeigen, dass er doch schön war, dass es keinen anderen Baum auf der ganzen Welt geben konnte, der so schön war wie er, und duftete er nicht sogar ein wenig?
Und so stellte Papa ihren Tannenbaum in einen Eimer mit nassem Sand und die Schlottmanns setzten sich inmitten der unausgepackten Umzugskisten um den großen Tisch herum.
"Na, dann kann Weihnachten ja kommen, ein echtes Schnäppchen-Weihnachten", grinste Opa.
"Nein", Thomas schüttelte den Kopf. "Nein, Weihnachten kann nicht mehr kommen. Es ist nämlich schon da."
Ja, es war da. Im Wohnzimmer glitzerte und duftete es, feiner, goldener Staub flog durch die Luft, lag auf dem Tannenbaum, auf Fleckis Fell. Niemand hatte gesehen, woher der Staub gekommen war.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort