Sommermorgen

Es ist jetzt ganz früh am Sonntagmorgen. Die Kinder schlafen noch.

Ich sitze auf der Terrasse und schaue in den morgenfrischen Garten. Es ist vollkommen still hier. Nur die Stimmen der Vögel hört man. In der Nacht war ein Gewitter. Deshalb ist es jetzt schön kühl. Wasserperlen glitzern überall an den Gräsern, Blumen und Bäumen. Die tiefrosafarbene "Queen-Elizabeth" an der Terrasse blüht in einer verschwenderischen Fülle, ebenso eine blaue Clematis.
Es ist immer dasselbe; die diebischen Amseln tun sich gütlich an unseren Kirschen. Gerade hat wieder eine ihr Frühstück von unserem Kirschbaum stibitzt. Aber sie ist nicht die Einzige. Es kommt immer wieder so ein kleiner Frechdachs, um von den Kirschen zu naschen. Jetzt hängen sie so richtig dunkelrot und saftig am Baum. Heute müssen wir sie ernten. Johannes wird mir helfen. Wir werden aber für die Amseln genügend hängen lassen.
Langsam kommt die Sonne heraus. Wenn ich zum nahen Wald schaue, sehe ich dort die Bäume wie in einem schwachen Nebel. Das ist die Feuchtigkeit der Nacht, die jetzt in der Morgensonne verdampft. Die "glücklichen" Kühe nebenan auf der Wiese haben sich schon zur ersten Siesta niedergelegt. Kein Mensch, kein Auto, nichts stört diesen Morgenfrieden.
Gestern fanden wir zwei junge Amseln, die wohl aus dem Nest gefallen waren. Sie lagen in einem Lichtschacht vor unserem Spielzimmer. Als ich sie herausholen wollte, kamen mit großem Gezeter die Eltern angeflogen und gingen fast auf mich los in ihrer Angst um die Kleinen. Das habe ich bei so kleinen Vögeln noch nicht erlebt. Aber wir wissen jetzt, dass sie von den Eltern versorgt werden und nicht in dem Lichtschacht verhungern müssen. Hoffentlich lernen sie bald fliegen, damit sie nicht noch von einer streunenden Katze gefressen werden.
So spielen sich überall kleinere und größere Tragödien ab, ganz im Stillen, von niemandem bemerkt. Genauso ist es oft im menschlichen Leben. Ich glaube, diese stillen Tragödien sind die schlimmsten.
Leider gibt es diese Idylle nicht mehr. Heute stehen mehrstöckige Häuser auf der Wiese. Auch mit der Ruhe ist es vorbei. Aber damals habe ich es so erlebt und in meinem Tagebuch festgehalten.

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