Politik Sozialdemokrat nur dem Namen nach

Zum Artikel „Ex-SPD-Chef Franz Müntefering sieht Bewerber-Casting skeptisch“ und zum Interview „,Nicht im Liegestuhl liegen und Pillen essen’“ (TV vom 19. September) schreibt Ernst Geilenkirchen:

Die neue SPD-Spitze wird im Oktober von den Parteimitgliedern bestimmt, die sich vorher in den Regionalkonferenzen ein Bild von den Kandidaten machen konnten. Schien es zunächst so, als wolle niemand sich für die Nachfolge von Andrea Nahles bereitstellen, so hat sich dann doch ein sehr breit gefächertes Bewerberfeld zur Wahl gestellt. Kritiker in und außerhalb der Partei bemängelten zuerst den fehlenden Mut der „Genossen“ und stören sich jetzt an dem unübersichtlichen Angebot, wie es ja auch Franz Müntefering im TV-Interview ausdrückt. Es kann durchaus als ein positives Signal für den gewünschten wirklichen Neuanfang gesehen werden, dass nur wenige Bewerber aus der etablierten Parteiprominenz zur Verfügung stehen.

Und da kommt Olaf Scholz ins Spiel. Dieser Kandidat ist ja offensichtlich in der eigenen Partei nicht gerade beliebt, wie etwa die Präsidiumswahlen in den Jahren 2009, 2013 und 2017 zeigen, als er auf den Parteitagen das schlechteste Ergebnis aller stellvertretenden Bundesvorsitzenden erzielte. Auch seine Auftritte bei den Regionalkonferenzen begeistern offensichtlich nicht so recht. Und dennoch nimmt er bei der Befragung nach den beliebtesten Politikern Deutschlands einen vorderen Rang ein (Platz vier beim jüngsten ZDF-Politbarometer). Diese „Beliebtheit“ schlägt sich aber keineswegs in Wählerstimmen für die Partei nieder. Das liegt wohl auch daran, dass sein Profil nicht eindeutig ist. Er ist nämlich ein Politiker, der mit seinem unverbindlichem, ruhigem Auftreten Menschen aus ganz unterschiedlichen Lagern gefällt, die aber seine Parteizugehörigkeit nicht wirklich erkennen können oder ablehnen und deshalb die SPD bei Wahlen ignorieren und lieber gleich das Original – die CDU – wählen.

Der Wähler braucht klare Alternativen und somit eine Partei, die sich von der CDU eindeutig unterscheidet, indem sie deutlich macht, dass sie keine Partei der Lobbyisten ist, der Interessenvertreter von Automobil- und Energiekonzernen, von Rüstungs- und Pharmafirmen und der Agrarindustrie. Die SPD muss vielmehr wieder für Gerechtigkeit und sozialen Ausgleich stehen. Eine solche Abgrenzung von der CDU kann Olaf Scholz nicht repräsentieren. Er ist ein „Sozialdemokrat nur dem Namen nach“, sowie es auch Wolfgang Clement, Gerhard Schröder, Otto Schily und Peer Steinbrück in ihrer politischen Arbeit waren. Sie sind wesentlich verantwortlich für den Niedergang der SPD, und daran hat auch Müntefering seinen Anteil mit seinem Einsatz für Hartz IV.

Die SPD braucht an der Spitze keine Politiker, die genauso auch in der CDU sein könnten, die ihre Partei links liegen lassen, um damit Stimmen aus der CDU-Wählerklientel zu gewinnen. Enttäuschte Konservative wählen aber eher nicht die SPD, sondern die AfD.

Ernst Geilenkirchen, Kelberg

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