Soziales

Zum Artikel "2000 offene Stellen in der Pflege" (TV vom 19. Mai):

Ich bin Krankenpfleger ("dreijährig", "examiniert") aus Berlin. Anfang des Jahres kam ich zwecks Stellensuche nach Trier. Ich hatte ein Bewerbungsgespräch in einem konfessionellen Krankenhaus (es gibt hier ja keine städtischen), das zu den bizarrsten Erlebnissen meiner Berufslaufbahn gehört. Mein "bunter" Lebenslauf erregte Entsetzen. Ich hatte zu viele Sachen in meinem Leben gemacht und dann auch noch im Ausland gearbeitet - als Krankenpfleger. Endgültigen Anstoß erregte die Tatsache, dass ich nicht in der Kirche bin, auch nicht in der anderen. Ich wurde sogar gefragt, ob ich getauft bin, und hörte dort zum ersten Mal den Begriff "Tendenzbetrieb". Zwei Wochen später bekam ich einen Brief mit dem lapidaren Bescheid: "Leider können wir Sie wegen Ihrer persönlichen Situation (sic!) nicht einstellen." Ich zog also Anfang Mai nach Trier, ohne Stelle, aber mit der festen Zuversicht, dass es für Krankenpfleger immer Arbeit gibt ... Das erste Bewerbungsgespräch bei einer ambulanten, nicht konfessionellen Hauskrankenpflege ließ sich recht gut an, bis das Gespräch auf das Gehalt kam. "Wir können leider nur elf Euro bezahlen." Die Kinnlade fiel mir runter, und ich stammelte: "Ich dachte, schlimmer als in Berlin geht nicht mehr." Berlin ist die Hauptstadt der Niedrigstlöhne. Aber schlimmer geht immer. Das wären 1900 Euro brutto, nach Steuern etwas mehr als 1200 Euro. Ich bewarb mich auch bei der ambulanten Kinder-Intensiv-Pflege, da ich auch Erfahrung in Intensiv-Pflege habe. Dort wurde mir beschieden, die Eltern wollen zurzeit nur weibliche Pflegekräfte. Fazit: Ein Krankenpfleger kann im Raum Trier nur Arbeit finden, wenn er katholisch und weiblich ist und bereit, für einen Hungerlohn zu arbeiten. Pflegenotstand? Was für ein Pflegenotstand? Alles hausgemacht. Ich weiß aus eigener Anschauung, wie unmenschlich (auch für die Pflegenden) und unprofessionell Krankenpflege in Deutschland ist. "Gefährliche Pflege" ist in Deutschland weitgehend institutionalisiert wegen Personalmangel. Ein Patient, der so schwach ist, dass er nicht klingeln oder sich sonstwie "wehren" kann, ist in akuter Lebensgefahr in einem deutschen Krankenhaus oder Pflegeheim. Das hatte ich selbst mehrfach erlebt. Da ist es besser, ein Angehöriger steht immer neben dem Bett. Unsere Medizin mag die beste der Welt sein, aber unsere Pflege marschiert unverdrossen Richtung Mittelalter. Stefan Sascha Heinig, Trier

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