Meinung

Demütigung und Provokation
Folgt man dem kritischen amerikanischen Publizisten Gore Vidal ("Amerika wird den Hass ernten, den es gesät hat"), einem herausragenden Kenner der Politik seines Landes, hat in den USA eine über viele Jahre sich hinziehende Demütigung und Provokation der islamischen Welt stattgefunden. Ein Baustein ist dabei Samuel Huntingtons Bestseller "Kampf der Kulturen". Beiträge von Medienvertretern‚ Reden radikaler Wanderprediger und die ständige Propaganda der um den Zugang zu den Ölreserven besorgten politischen Kreise kamen hinzu. Es wurde - von den wahren Interessen des militärisch-industriellen Komplexes ablenkend - der "Krieg gegen die Achse des Bösen" ausgerufen. Bin Laden‚ zuvor ein Verbündeter der Amerikaner, und andere radikale Islamisten antworteten mit dem "Heiligen Krieg gegen die Ungläubigen". Das World Trade Center galt schon lange als die "Kathedrale des Kapitals"‚ als Provokation für die große Zahl unterentwickelter Länder und ausgebeuteter Menschen und als Ausdruck der amerikanischen Vormachtstellung in der Welt. Dass eines Tages junge Araber als Auftragstäter Verkehrsmaschinen in die Zwillingstürme lenken würden‚ konnten sich selbst kritische Künstler wie Joseph Beuys nicht vorstellen, der 1974 zusammen mit Klaus Staeck ein sogenanntes Multiple geschaffen hat, eine 3-D-Postkarte, auf der die beiden Türme mit Fett überzogen und mit den Namen Cosmos und Damian [engl. Schreibweise] beschriftet sind - nach dem arabisch-christlichen Brüderpaar, das der Legende nach als Ärzte Patienten unterschiedslos ohne Honorar behandelt hat. Beton, Stahl und Glas galten Beuys als das Kalte‚ Unmenschliche, Fett als das Veränderbare‚ Menschliche. Dass Selbstmordpiloten die Veränderung herbeiführten‚ war nicht in seinem Sinne. Die Menschlichkeit blieb bei dem Anschlag und den folgenden kriegerischen Auseinandersetzungen auf der Strecke. Werden eines Tages Fanatiker, die sich als radikale Christen verstehen, Anschläge auf die Wolkenkratzer in Dubai planen? Jürgen Adam, Deuselbach