Medizin Unermessliche Verantwortung

Zur Berichterstattung über nichtinvasive Pränataldiagnostik und die Folgen schreibt Dr. med. Christa Löhr-Nilles:

Durch einen Bluttest lässt sich bei Schwangeren seit einigen Jahren mit großer Sicherheit bestimmen, ob beim ungeborenen Kind eine Trisomie vorliegt.

 Die aktuelle Diskussion um Übernahme der Kosten für den molekulargenetischen Bluttest durch die gesetzlichen Krankenkassen darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es hierbei um weit mehr geht als nur um Geld.

Durch die Entwicklung von pränataldiagnostischen Untersuchungsverfahren wird zwangsläufig die gesellschaftliche Bewertung von erkennbaren Behinderungen/Entwicklungsstörungen beeinflusst.

Pränataldiagnostik kann im Einzelfall helfen, Krankheiten früh zu erkennen und dann auch frühzeitig gut behandeln zu können. Der „Screening-Test“ auf Trisomie dient allerdings nicht dazu, diesen Kindern eine vorgeburtliche Behandlung zu ermöglichen.

Wird nicht künftig in der Frühschwangerschaft nach Normabweichungen gesucht, gescreent? Die Schwangere wird damit in eine Situation gebracht, in der sie in kurzer Zeit oft ohne ausreichende Grundlage über das Leben ihres Kindes entscheiden muss. Die Aufklärungsbögen zur nichtinvasiven Pränataldiagnostik informieren nicht darüber, wie ein Leben mit einem Trisomie-Kind aussehen könnte. Es wird eher der Eindruck vermittelt, dieses Leben sei etwas Vermeidbares. Es darf nicht sein, dass sich diejenigen erklären müssen, die auf die Diagnostik verzichten oder an einem Kind festhalten, das nicht der Norm entspricht.

Eltern dürfen niemals diskriminiert werden, wenn sie sich für ein Kind mit Behinderung oder einer „Normabweichung“ entscheiden!

Das Wissen um unser Erbgut schreitet in großen Schritten voran,  und wir können und wollen den Zugang zu diesen Informationen nicht verhindern. Allerdings müssen wir uns noch sehr viel stärker für einen verantwortlichen Umgang damit einsetzen.

Die Diagnose „Down-Syndrom“ ist in der Frühschwangerschaft für fast alle Eltern zunächst ein Schock. Menschen, die die werdenden Eltern in dieser Situation begleiten, kommt eine unermessliche Verantwortung zu. Die Beratung der werdenden Eltern sowohl vor als auch nach einer Pränataldiagnostik durch Pränatalmediziner, Genetiker, Kinderärzte, Beratungsstellen und andere braucht allerdings viel Zeit und Vertrauen, ist eben keine „Routine-Kassenleistung“.

Unsere Gesellschaft muss sich jetzt und künftig daran messen lassen, wie wir mit Behinderten und deren Familien umgehen, welche Hilfen wir ihnen ermöglichen, was wir ihnen bieten, um ein würdevolles Leben in unserer Gemeinschaft führen zu können.

Dr. med. Christa Löhr-Nilles, Kinder- und Jugendärztin, Neuropädiatrie, Föhren

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