Unheilige Allianz

Auto

Zur Berichterstattung über den Diesel-Skandal:
Im deutschen Rechtsstaat kann der Bürger sein Recht oder sein vermeintliches Recht gerichtlich einklagen, aber nur, wenn er genügend Geld hat, um das Kostenrisiko bei Abweisung der Klage tragen zu können. Das heißt: In der Praxis wird der durchschnittlich verdienende Bürger sein Recht oder sein vermeintliches Recht aufgrund des finanziellen Risikos oft nicht einklagen.
So geschieht das auch in der VW-Betrugsaffäre: Aufgrund der fehlenden genaueren Rechtskenntnis und der dadurch bedingten Furcht vor Abweisung der Klage wagen viele Dieselauto-Besitzer nicht, den VW-Konzern auf Schadenersatz zu verklagen, weil sie das finanzielle Risiko der Klage allein tragen müssen. Das Recht auf eine Sammelklage besteht in Deutschland nicht, und das Vorhaben der SPD, das Instrument einer Musterfeststellungsklage zuzulassen, wird im Kanzleramt blockiert. Heiko Maas, SPD-Politiker und noch Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz, äußerte: "Fakt ist: Die Musterfeststellungsklage könnte den Autokäufern in Deutschland bereits offenstehen, wenn sie nicht in der laufenden Wahlperiode blockiert worden wäre. Der entsprechende Vorschlag von mir liegt dazu lange auf dem Tisch."
Es sieht ganz danach aus, dass der Bürger von der Politik der großen Koalition im Stich gelassen worden ist, er also den ihm zugefügten Schaden, der ihm bei Fahrverboten und durch den Wertverlust des Dieselautos entsteht, selbst oder überwiegend allein tragen muss.
Das Angebot der Autoindustrie, für die Verschrottung älterer Dieselautos eine Prämie beim Neukauf zu gewähren, ist inakzeptabel, wenn die Prämien nicht nach Alter des Fahrzeugs und entsprechend dem Verkaufswert, den das Fahrzeug normalerweise ohne Abgasaffäre noch gehabt hätte, gestaffelt werden. Ansonsten ist die Prämienlösung ein Konjunkturprogramm auf Kosten der Dieselauto-Besitzer: Die Konzerne können sozusagen als Belohnung für ihren Betrug weitere Vorteile erzielen.
Die Politik versucht, ebenso wie die Konzerne, den Blick auf die zukünftigen Herausforderungen zu lenken: Sicherung von Arbeitsplätzen, Umweltschutz und Entwicklung alternativer Lösungen für den Individualverkehr.
Das Argument der Politik, man wolle Arbeitsplätze in der Autoindustrie nicht gefährden, ist aus meiner Sicht unglaubwürdig und könnte sogar im Gegenteil Arbeitsplätze gefährden. Unglaubwürdig, weil angemessene Entschädigungszahlungen die Autoindustrie nicht gefährden würden - wegen mehr Neuwagenverkäufen und angesichts hoher Gewinne in den letzten Jahren.
Arbeitsplätze könnten tatsächlich gefährdet werden, wenn der betrogene Dieselauto-Besitzer sich von den betrügenden Konzernen abwendet, also seine Macht als Verbraucher ausübt. Und diese Macht sollte nicht unterschätzt werden.
Günter Herber
Lorscheid

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