Verändern, verbessern - und nicht an den Symptomen herumdoktern

Soziales

Zum Interview "Auch Pflegende haben ein Streikrecht" (TV vom 21. September):
Neben den von Franz Wagner, Präsident des Deutschen Pflegerats, angeführten Gründen für den "Pflegenotstand" gibt es Rahmenbedingungen, die Interessierte von der Ergreifung des Pflegeberufs abhalten oder Berufstätige wieder zum Ausstieg bringen. Zu diesen Rahmenbedingungen, über die weder die Politik noch die Berufsverbände einschließlich der Pflegekammer sprechen, gehören neben einer angemessenen Vergütung folgende:
1. Wenn eine Pflegekraft aus der Nachtwache kommt, dann hat sie je nach Schichtlänge schon sechs bis sieben Stunden gearbeitet, weil der Tag ja um 24/0 Uhr beginnt. in Deutschland ist es in der Praxis jedoch so, dass dieser "Ausschlaftag" als freier Tag gerechnet wird, obwohl schon bis zu sieben Stunden gearbeitet wurden. Arbeitet eine Pflegekraft im Frühdienst, beispielsweise von sechs bis 13.30 Uhr, hat sie abzüglich der Pause von 30 Minuten auch sieben Stunden gearbeitet, und keiner käme auf die Idee zu sagen, der restliche Tag sei ein freier Tag.
2. Was die Dauer der Nachtruhe einer Pflegekraft angeht, gibt es in Deutschland eine Regelung, die es bei unseren europäischen Nachbarn so nicht gibt. Das Arbeitszeitgesetz beschreibt in Artikel 5, Paragraf 1 grundsätzlich eine Ruhezeit von mindestens elf Stunden. In Paragraf 2 gibt es eine Ausnahmeregelung für bestimmte Berufsgruppen, so auch für die Pflegeberufe: "Die Dauer der Ruhezeit des Absatzes 1 kann in Krankenhäusern und anderen Einrichtungen zur Behandlung, Pflege und Betreuung von Personen […] um bis zu eine Stunde verkürzt werden." Wenn der nächste Frühdienst am folgenden Tag um sechs Uhr beginnt und man die Wegezeiten einbezieht, bleibt von der Nachtruhe nicht viel übrig. In Luxemburg haben die Pflegekräfte nach dem Spätdienst einen Tag frei, bevor sie wieder mit einem Frühdienst beginnen.
3. Es fehlt eine gesetzlich festgeschriebene Mindestbesetzung in Krankenhäusern und Altenpflegeheimen. Und das sowohl im Tag- und Nachtdienst als auch an den Wochenenden und Feiertagen. Zurzeit ist es gelebte Praxis, dass sowohl in Krankenhäusern als auch in Altenheimen insbesondere nachts und an Wochenenden im Tagdienst (Früh- und Spätdienst sowie an Sonn- und Feiertagen) Pflegekräfte alleine im Dienst sind und somatisch aufwendig zu pflegende Patienten versorgen müssen. Eine Pflegekraft kann den berechtigten Interessen von 20 oder mehr Patienten und den Anliegen möglicher Besucher nicht gerecht werden.
Dass die Politik ihr Heil im Anwerben von ausländischen Fachkräften sucht, ist nur vordergründig eine Lösung. (Ich arbeite selbst mit ausländischen Kollegen zusammen, das macht Spaß und erweitert den Horizont). Es kann jedoch nur kurzfristig eine Lösung sein. Die Politik und Berufsverbände inklusive der Pflegekammer müssen die Rahmenbedingungen für die Kranken-und Altenpflege verändern, verbessern und nicht an den Symptomen herumdoktern. Ansonsten wird der Pflegenotstand ein Dauerthema bleiben.
Georg Krämer, Fachpfleger für Psychiatrie/Praxisanleiter
Bernkastel-Kues

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