Vom Ruck zum Rutsch

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Rudolf Boeck aus Trier schreibt zum TV vom 31. August: Autsch! Was sich der TV in dieser Ausgabe für sprachliche Fehler erlaubt, schlägt dem Fass die Krone ins Gesicht!

Auf der Titelseite liest man: "Linksrutsch im Saarland", als Balkenüberschrift über dem Aufmacher - ein ganz neuer, geradezu brandneuer Ausdruck in der deutschen Sprache! Man kennt "Linksruck" und "Bergrutsch (-Sieg beziehungsweise -Niederlage)" zur Darstellung von politischen Ergebnissen, besonders von Wahlen. "Linksrutsch" aber ist eher eine sprachliche Fehlleistung, selbst wenn man den Sieg der Partei der "Linken" als Rutsch bezeichnen möchte. Hier grüßt dann das politisch-ideologische Murmeltier. Sprachlich handelt es sich um eine kühne Metapher, wie die Sprachwissenschaftler das nennen.

Superkühn wird die Metapher, mit welcher der TV den Ehranger Markt in seinem Trier-Teil beschreiben will, ebenfalls in einer Balkenüberschrift: "Beschwingtes Ohrensausen". Was bitte soll beschwingtes Ohrensausen sein? Will man den Trommlern nicht so richtig wehtun, die ihrerseits wehtun? Warum schreibt man nicht, was man meint? Ganz unbeschwingt wird das Ohrensausen der Leser bei der Lektüre solcher sprachlicher Verstöße. Deutsch also schwach, setzen!

Wie sieht es im Rechnen aus? Auf der ersten Seite der Trierer Zeitung "wirbeln (…) 1682 Trommler" (zum Glück nicht durch die Luft!), dabei fliegen aber "2364 Stöcke" durch dieselbe. Das sind tausend zu wenig. TAUSEND!

Damit nicht genug: Der bekannte Pianist Martin Stadtfeld, mit Wurzeln in der Eifel, soll am "Samstag, 4. September, 20 Uhr" auftreten. Falsch. Stadtfeld tritt schon am Freitag auf, was der 4. September ist, und zwar im Theater Trier. Ort und Datum immerhin sind richtig genannt.

Ich habe die Zeitung dann kaum weiter angeschaut. Nur noch ein Hammer ist mir aufgefallen, der über dem "Kultur-Teil" dieser Nummer steht: "Mach uns zum Affen, King Kong!" Vor so einer "Kultur" möge uns Gott bewahren und diejenigen Leser des TV, die guten Willens sind!

Lieber Herr Boeck,

vielen Dank für Ihre Nachhilfe. Ei der Daus, Potzblitz und horschemal! Da haben Sie uns aber ordentlich geschurigelt - zu Recht. Es tut mir leid, dass die Lektüre der Zeitung Ihnen Schmerzen verursacht ("Autsch!"). Das schlägt dem Fass die Krone ins Gesicht, schreiben Sie. Hmm, eine Katachrese, wie es die Sprachwissenschaftler nennen, ein windschiefes Bild. Der Zahn der Zeit, der schon so viele Tränen getrocknet hat, wird auch Gras über diese Wunde wachsen lassen, hoffe ich.

Spaß beiseite: Mit all der Mühe, mit der wir manche unserer Fehler verbergen, könnten wir sie uns leicht abgewöhnen, hat der Großkünstler Michelangelo gesagt. Wir arbeiten daran.

In einem Punkt erhebe ich allerdings Einspruch, Euer Ehren: Das Wort "Linksrutsch" ist jung, aber kein "brandneuer Ausdruck", wie Sie mutmaßen, und kein Beweis für eine sprachliche Fehlleistung. Seit etwa zwei Jahrzehnten wird der Begriff hie und da verwendet, um dramatische politische Entwicklungen zu charakterisieren, quasi als Steigerung des moderaten "Rucks". Der von Ihnen angeführte "Bergrutsch" ist mir im Kontext von Wahl-Ergebnissen unbekannt, vielleicht meinen Sie den "Erdrutsch"!?

Der "Linksrutsch" jedenfalls gehört zum Sprachschatz von Merkel, Steinmeier, Westerwelle; Belege für "Linksrutsch" finden sich in: ARD, ZDF, "Spiegel", "Zeit", "Focus ", "Frankfurter Allgemeine Zeitung", "Welt", "Süddeutsche Zeitung", "Neue Zürcher Zeitung", "Handelsblatt". Und, wen wundert's, im "Bayern-Kurier".

Selbst wenn der "Linksrutsch" von einem Volksfreund-Redakteur erfunden worden wäre - warum nicht!? Neue Wörter, Neologismen, entstehen täglich. Weil die Sprache lebt, weil sie sich verändert, weil, wie ein Kollege in der "Süddeutschen" jüngst schrieb, "dem Deutschen eindeutig ein paar Wörter fehlen", um all das auszudrücken, was Menschen denken-sehen-hören-fühlen-schmecken-riechen-träumen.

Der aktuelle Rechtschreib-Duden (25. Auflage, 2009) listet 135 000 Stichwörter auf - 5000 mehr als der Vorgänger vor drei Jahren. Bei der Premiere, 1880, waren es gerade 27 000 Einträge. Freilich: kein "Linksrutsch", nirgends. Noch nicht.

Schönes Wochenende!

Peter Reinhart, stellvertretender Chefredakteur

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