Von Tabus befreien

Zum Artikel "Arbeit macht immer mehr Beschäftigte psychisch krank (TV vom 15. Februar):

Zunächst einmal möchte ich betonen, dass ich grundsätzlich allen Hauptaussagen dieses Artikels vorbehaltlos zustimme: Es stimmt, dass es viel zu wenige niedergelassene Nervenärzte in der Region gibt. Betroffene Patienten, die eigentlich einer umgehenden Behandlung bedürfen, warten monatelang auf einen Termin bei einem Nervenarzt.

Es stimmt auch, dass entsprechende Erkrankungen, vielfach aufgrund belastender Bedingungen am Arbeitsplatz, stetig zunehmen: eine dramatische Entwicklung - keine Frage!

Mindestens genauso dramatisch ist meiner Meinung nach aber auch die Tatsache, dass psychische Beschwerden meist ein K.o.-Kriterium sind, wenn ein Patient versucht, eine Krankenzusatzversicherung abzuschließen oder von der gesetzlichen in eine private Krankenkasse zu wechseln. Beides ist meist bereits dann zum Scheitern verurteilt, wenn man bei der Gesundheitsprüfung im Rahmen der Antragstellung angibt, schon einmal in psychotherapeutischer Behandlung gewesen zu sein, etwa wegen einer Depression: ein mittlerweile sehr weit verbreitetes, ernst zu nehmendes Leiden, was aber leider allzu oft immer noch verharmlost wird. Vor allem viele Männer wollen davon nichts wissen. Nun gibt es auf der einen Seite immer mehr verantwortungsvolle Therapeuten, die ihre Patienten entsprechend sensibilisieren und anschließend zu einem Psychotherapeuten schicken. Auf der anderen Seite ist es jedoch gerade zu heuchlerisch, wenn Krankenzusatzversicherungen und private Krankenkassen Anträge potenzieller Kunden aus genau diesem Grunde kategorisch ablehnen; psychische Leiden also weiterhin tabuisieren, entsprechende Patienten abstempeln und ins Abseits stellen. Denn bei der Gesundheitsprüfung wird gezielt nach psychischen Leiden und Behandlungen durch Psychotherapeuten gefragt. Denkt sich der Patient nun, dann gebe ich das eben einfach nicht an, kann das im Versicherungsfall gravierende Folgen haben. Nicht nur, dass sich die Falschangabe nachweisen lässt, da es entsprechende Einträge auf der Versichertenkarte gibt, sondern auch, weil die Versicherung dann nicht bezahlt und die Versicherten zusätzliche Schwierigkeiten bekommen können.

Dies soll kein Plädoyer dafür sein, den oftmals unvermeidlichen Gang zum Psychotherapeuten zu vermeiden. Vielmehr möchte ich dazu aufrufen, psychische Erkrankungen ernst zu nehmen und zu enttabuisieren.

Johannes W. Steinbach, Wasserliesch, Heilpraktiker

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