Verkehr Wachsende Gefahr

Zur Berichterstattung über die Wahl in Thüringen schreiben Harald Dupont, Peter Tries und Robert Seidenath:

Personen, nicht (ungelesene) Parteiprogramme zählen immer mehr bei den Wählern. Ramelow, nicht die Linke, wird gewählt, jetzt in Thüringen. Kretschmann, nicht die Grünen, in Baden-Württemberg schon lange davor. Und mit Sicherheit auch weiter. Weil erfolgreich und glaubwürdig, „nah bei de Leut“ eben.

Dass Parteien in eine extreme Ecke an des Rand des demokratischen Spektrums gestellt werden, ist nicht nachvollziehbar für immer mehr Wähler. Waren es früher die Grünen, die als Steinewerfer in Turnschuhen verteufelt wurden, sind es jetzt die Linken, denen kommunistisches, demokratiefeindliches Gedankengut unterstellt wird, und leider profitiert auch die rechte, sich als patriotisch, teils völkisch anbiedernde AfD von der Rolle der in die Schmollecke Verbannten, in die sie die etablierten ehemaligen Volksparteien gesteckt haben. Wut-, Protest und Nichtwähler zieht sie in ihren unsäglichen Bann.

Es gilt, die Linke unter Ramelow zu liken, sie gehört zur demokratischen Mitte, und die Rechten (Höcke) zu ächten. Nie wieder Nazis! 75 Prozent haben es verinnerlicht.

Harald Dupont, Ettringen

Das Wahlergebnis erinnert mich an einen Hochseilartisten, der Gewichte auf seiner Balancierstange von der Mitte auf den beiden Seiten ganz nach außen schiebt, weil ihm das Risiko noch nicht groß genug erscheint.

Peter Tries, Kinheim

Die Linke ist in Thüringen die stärkste Partei geblieben – das ist die gute Nachricht. Sie könnte die im Großen und Ganzen durchaus erfolgreiche Arbeit ihrer Koalition mit der SPD und den Grünen fortsetzen, wenn – das ist die erste schlechte Nachricht – nicht die Grünen ein wenig und die SPD recht viel verloren hätten. Die SPD bewegt sich deutlich auf die Fünf-Prozent-Grenze zu – wenn Olaf „schwarze Null“ Scholz ihr Kanzlerkandidat wird, dürfte sie die fünf Prozent locker überschreiben, und zwar nach unten.

Die zweite schlechte, wirklich schlimme Nachricht ist, dass die AfD auch in Thüringen zweitstärkste Partei geworden ist. Dass der Thüringer Spitzenkandidat der AfD, Björn Höcke, auch Führer ihres faschistischen Flügels ist, hat seine Wähler offenbar nicht abgeschreckt. Höcke nennt sein politisches Programm „sozialpatriotisch“, tatsächlich ist es schon eher nationalsozialistisch.

Seine neueste Idee ist ein Zuschlag für Menschen mit niedriger Rente – allerdings nur für Deutsche, was eindeutig gegen die Artikel (Art.) 1 und 3 des Grundgesetzes (GG) verstößt und somit verfassungswidrig ist.

Art. 1 (1) GG lautet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Die Würde des Menschen, nicht nur die des Deutschen! Aus der gleichen Würde folgen gleiche Rechte aller Menschen: „Art. 3 (1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich [...] (3) Niemand darf wegen seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft [...] benachteiligt oder bevorzugt werden.“

Schon allein die Missachtung dieser beiden GG-Artikel rechtfertigt die Beobachtung Höckes und seines Flügels durch den Verfassungsschutz. Höcke wirft den „Kartellparteien“ eine „Instrumentalisierung“ des Verfassungsschutzes vor und kündigt an, diese zu beenden und den Verfassungsschutz „patriotisch“ ausrichten zu wollen.

Im Klartext heißt das, dass er den Verfassungsschutz für die antidemokratischen Ziele der AfD instrumentalisieren will – ein weiterer Anschlag auf die Verfassung. Höcke findet starke Unterstützung in seiner Partei, namentlich auch von den angeblich gemäßigten Alexander Gauland und Jörg Meuthen. Die AfD ist eine wachsende Gefahr für die Demokratie.

Robert Seidenath, Gusterath

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