Bildung Was wir wissen, was wir nicht wissen, was wir glauben

Zum Leserbrief von Damian Hippolyt Gindorf unter der Überschrift „Das Leben in seiner ganzen Fülle“ (TV vom 6. November) schreiben Peter Trauden und Wolfram Bauer:

Ich möchte Herrn Gindorf nicht zu nahe treten, aber sein Brief über die von der Landesschülervertretung geforderte Abschaffung des Religionsunterrichtes wirkt nicht nur überheblich, er ist es tatsächlich.

Zunächst zweifelt er die Berechtigung der Organisation an, die Schüler landesweit zu vertreten, da ja 75 Prozent von ihnen den katholischen Unterricht besuchen. Da sollte er sich doch fragen, warum kein Sturm des Protestes von dieser angeblichen 3/4-Mehrheit erfolgt ist und stattdessen er zur Feder greifen muss, um, wie er mit Pathos schreibt, „die Fahne“ für alle Kollegen zu „erheben“? Überlassen wir es doch diesen Schülern, sich entweder von ihren gewählten Vertretern abzuwenden oder eben nicht.

Und wie selbstverständlich bestimmt Herr Gindorf seinen Gott zum Vater von uns allen, weil auch er sich nicht erklären kann, was vor dem Urknall war. Damit ist er dem Ursprung der Religionen jedoch ein gutes Stück auf die Pelle gerückt, denn die Neigung der Menschen, allem Unerklärbaren und Unerforschlichen einen Namen geben zu müssen, endet regelmäßig bei einem Gott und damit in der Mystik. Ein ehrliches „Ich weiß es nicht“ genügt ihm nicht und bereitet nur Frust.

Gleich darauf bezeichnet er sich als Historiker und versteigt sich zu der Behauptung, Hitler habe sich nicht an die Kirchen getraut. Könnte es nicht eher so gewesen sein, dass sich die Amtskirche nicht an Hitler traute? Die Fuldaer Bischofskonferenz rief 1933 zur „Treue gegenüber der rechtmäßigen Obrigkeit“ auf und untersagte das öffentliche Vorgehen gegen Hitler und seine NSDAP. Man wollte es sich mit den Mächtigen nicht verscherzen, wobei ich ausdrücklich betonen möchte, dass etliche aufrechte Katholiken Gefangenschaft und Tod auf sich nahmen, um sich zu widersetzen. Ebenso evangelische Geistliche, nur einer, Dietrich Bonhoeffer, sei genannt.

Weiter hält es Herr Gindorf allein seinem Glauben zugute, dass Menschsein, Nächstenliebe, Toleranz und Demut zu – teilweise – gesellschaftlichen Eigenschaften geworden sind. Wirklich? Wo bleiben denn die Demut, die Toleranz, die Nächstenliebe und die von Herrn Gindorf nicht erwähnte Verantwortlichkeit der Kirche angesichts der zahllosen Missbrauchsfälle, über die heftigst diskutiert wird?

Er empfiehlt der Landesvertretung der Schüler „erst denken, dann reden“ und lädt zur offenen Diskussion ein. Das könnte spannend werden. Bis dahin halte ich es mit einem Sprichwort, mit dem meine Kinder zu verantwortungsbewussten Menschen erzogen wurden: „Was du nicht willst, das man Dir tu’, das füg auch keinem anderen zu.“ Das genügt völlig.

Peter Trauden, Heilbach

Ich hoffe, dass Herr Gindorf seinen Schülern erklärt, worin sich Wissenschaft und das christliche Dogma unterscheiden. Die Wissenschaft basiert auf Erkenntnisgewinn, aufgehend in Forschung und Lehre nach feststehenden Kriterien und Methoden. Wissenschaft ist immer voraussetzungslos und ergebnisoffen und kann sich daher auch immer korrigieren. Daher steht Wissenschaft immer diametral zu einem Dogma, so auch der christlichen Theologie.

Und daher sollte man auch erklären, dass der christliche Kampf gegen die Heiden zur Schließung sämtlicher Akademien, einschließlich der Platonischen Akademie in Athen führte. Aber nicht nur der wissenschaftlichen Lehre wurde vor 1500 Jahren ein Ende gesetzt, sondern auch der Lehrstoff, sprich die Schriften, wurde systematisch vernichtet. Der Vernichtungsfeldzug allein gegen Bücher (Schriftrollen) war so gründlich, dass etwa nur ein Hundertstel der lateinischen Literatur erhalten geblieben ist. Noch bis 1966 standen Bücher auf dem Index Romanus des Vatikans, so auch Kants „Die Kritik der reinen Vernunft“.

Auch muss man nicht an eine Jungfrauengeburt oder an einen Jesus glauben, der wesensgleich mit Gott sein soll. Die Botschaft „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich“ ist ein Dogma, das andere Religionen ausschließt und nicht toleriert. Da helfen keine anderweitigen Beteuerungen, sondern aus einer historischen Sicht eher der klassische Hinweis von Nietzsche von den „Umwertungen aller Werte“. Auf welchen psychologischen Niveau der Vatikan sich befindet, verdeutlichen die Exorzismus-Kurse, die heute noch auf der päpstlichen Hochschule in Rom angeboten werden. Die Ausbildung zum Exorzisten soll Priestern eine „ernsthafte, wissenschaftliche, theologische, interdisziplinäre“ Rundumsicht zu dem Thema vermitteln. Exorzismus sei keine Magie, sondern ein Dienst der Nächstenliebe und Barmherzigkeit. So jedenfalls die Botschaft des Vatikans.

Unter welchen Kriterien man etwas einordnet beziehungsweise glaubt, obliegt individuell jeder Person und seiner Urteilsfähigkeit. Es geht also darum, was wir wissen, und nicht, ob wir glauben, sondern was wir glauben.

Zielführend dürften die Thesen der Aufklärung nach Kant sein und ein Erkenntnisstand, wo Glauben und Wissen sich nicht widersprechen dürfen. Und genau darin kann man die Schüler nur bestärken, indem sie eine einseitig dogmatisch Indoktrinierung ablehnen.

Wolfram Bauer, Nittel-Rehlingen

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