Weniger Religion, mehr Aufklärung

Zum Kommentar "Eine Ohrfeige? Alles Quatsch!" (TV vom 7. März):

Anders als Hagen Strauß es in seinem Kommentar schreibt, ist Kritik an der Äußerung des neuen Innenministers durchaus berechtigt. Um seinen eigenen Standpunkt belegen zu können, zitiert Strauß falsch: "Dass der Islam zu Deutschland gehört, ist eine Tatsache, die sich aus der Geschichte nicht belegen lässt." Originalzitat Friedrich: "…Tatsache, die sich auch aus der Historie nirgends belegen lässt." (Nach der Guttenberg-Affäre sollte man so nicht mehr zitieren!) Aber: Schon 1915 wurde die erste Moschee in Deutschland gebaut; in der Weimarer Republik wurden mehrere muslimische Vereine gegründet, womit der Islam offiziell in Deutschland präsent war. Die NS-Herrschaft verfolgte muslimische Araber. Die meisten Muslime kamen in den 60er Jahren als angeworbene Gastarbeiter; sie trugen wesentlich zum Wirtschaftswunder bei.

Bei Friedrich und im Kommentar scheint man - unter Ausblendung der aktuellen Entwicklung in der arabischen Welt - populistisch zu versuchen, den Islam als unreformierbare Religion von Schleierträgerinnen, Selbstmordattentätern und Ehrenmördern einem anständigen Deutschland gegenüberzustellen und "christlich-jüdische Werte" gegen den Islam auszuspielen.

Aber: Den "Islam" und das "Christentum" gibt es nicht, denn beide haben im Gegensatz zum Fußball weder ein einheitliches Regelwerk noch einen Schiedsrichter. Abgesehen davon, dass der Begriff "christlich-jüdische Werte" den Nationalsozialismus aus unserer Historie ausblendet, sollte man nicht vergessen, dass in der Historie die Schriften beider Religionen zur Rechtfertigung grausamster Verbrechen verwendet wurden. Außerdem wird verdrängt, dass unsere demokratischen Werte weniger auf Religionen als vielmehr auf die Aufklärung zurückgehen. In ihrem Sinne sollten wir bemüht sein, uns unseres eigenen Verstandes zu bedienen ("sapere aude" ist der Leitspruch der Aufklärung) und gemeinsame Werte auszuhandeln, die in einer sich wandelnden Gesellschaft konsensfähig sind. Denn die millionenfache Migration ist längst demografische Notwendigkeit und politische Realität geworden.

Norbert Bogerts, Welschbillig

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