Wenn der Thron wackelt

Zum Artikel "Roland Koch zückt alten Wahlkampf-Trumpf" (TV vom 29./30. Dezember):

Ich lese auf Seite eins, Hessens Ministerpräsident Roland Koch (ein mir überhaupt nicht sympathischer Zeitgenosse) habe beklagt, wir hätten zu viele junge kriminelle Ausländer im Land und Schuld daran sei die verfehlte Integrationspolitik. Weiter habe er null Toleranz gegen Gewalt gefordert. Spontan empfinde ich Zustimmung. Auf Seite zwei stelle ich fest, dass Kochs Äußerung ausschließlich der Furcht um seinen wackelnden Thron geschuldet ist, den er mit dieser geschürten Fremdenangst wieder zu befestigen gedenkt. Dass die Steilvorlage zu Kochs Worten zwei ausländische Jugendliche lieferten, die einen alten Mann grundlos halb tot schlugen, nein, davon lese ich nichts. Allerdings enthält der Bericht einen Hinweis, wonach die Integrationspolitik der Koch'schen Landesregierung selbst seinen Gegnern Respekt abnötigt. Roland Koch pflegt eine klare Sprache, die nicht beschönigt, und er liebt es, zu pointieren, sogar zu provozieren. Schaut man sich um im Land, stellt man schnell fest, dass nur die überspitzte, provozierende Formulierung die Bürger und ihre Politiker zu wecken vermag. Werden die Worte nicht hart und grob gesetzt, verharren alle in ihrer "Ohne-Michel-Haltung". Das bestätigt nicht zuletzt der zitierte Vorfall: Als der später attackierte alte Mann die beiden Jugendlichen auf das Rauchverbot in der U-Bahn hinwies, wurde er von diesen im Angesicht anderer Fahrgäste beleidigt. Hätten letztere sich in toto auf die Seite des alten Mannes gestellt, vielleicht wäre der Ausgang des Dramas ein anderer gewesen. Es scheint schöner Brauch unter unseren Spitzenpolitikern zu sein, erst dann wichtige Themen aufs Tapet zu bringen, wenn die Gefahr besteht, nach der anstehenden Wahl könne ein anderer auf ihr Stühlchen gehievt werden. Wie war das noch gleich mit dem rheinland-pfälzischen Landesfürsten und SPD-Vormann Kurt Beck? Jener hatte ohne Wenn und Aber vertreten, das Arbeitslosengeld I nur für zwölf Monate zu zahlen, sei richtig, damit sich die Arbeitslosen ohne Zuwarten um einen neuen Job bemühten. Nachdem seine Umfragewerte nicht mehr weiter fallen konnten, entdeckte er spornstreichs sein Herz für die älteren Arbeitslosen und versuchte, sich gleich Münchhausen am eigenen Schopf aus dem Dreck zu ziehen. Ein Schelm, der Arges dabei denkt.Wolf-Rüdiger Wulf, Trier POLITIKER

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