Wir konnten uns nicht wehren

Zu den Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche:

Sexualität ist eine "Himmelsmacht", wenn man davon ausgeht, dass der "Himmel" die Reproduktion der Geschöpfe anstrebt. Besser wäre es, von der Sexualität als einer Naturkraft zu sprechen, deren Ziel in erster Linie die Fortpflanzung ist - nicht mehr und nicht weniger. Der Natur ist es aber gleichgültig, wer oder was der "Gegenpart" ist, es kann sogar ein Part sein, der zur Fortpflanzung nicht geeignet ist. Dann geschieht sie eben nicht.

Sexualität ist eine "ungezähmte" Kraft. Sie ist nicht unterdrückbar. Wer dies versucht, wird ihre Kraft in zerstörerischer Form wiederfinden. Dann - und nur dann - ist sie "des Teufels". Sie ist aber individuell kontrollierbar, und es bedarf in der Gesellschaft Konventionen und darauf gründende Gesetze, um sie zu steuern, damit zu Schützende geschützt werden können. Allerdings dienten Konventionen (Moralgebote beziehungsweise -verbote) auch dazu, Herrschaft über Schwächere ausüben zu können, und dies nicht immer nur zu deren Wohl. Seit der "sexuellen Revolution" und den allgemeinen Emanzipationsbestrebungen (nicht nur die Frauenemanzipation ist gemeint) ab etwa Mitte der sechziger Jahre wird auch diese Grundlage von Herrschaft angegriffen. Das betrifft jetzt besonders die katholische Kirche. In ihr scheint weniger die Kontrolle der Sexualität als vorrangig ihre Unterdrückung im Vordergrund gestanden zu haben. Die Päderastie- und Prügelpriesterexzesse sind - wie allgemein angenommen wird - Auswirkungen dieser Einstellung zur Sexualität.

Aber nicht nur das waren Auswirkungen: Auch Heuchelei (Bigotterie) und unwahrhaftige Autorität, also autoritäres Gehabe seitens der Machtträger zählten dazu.

Meine Generation waren in den fünfziger und sechziger Jahren Kinder oder Jugendliche. Wir konnten uns gegen diesen übermächtigen Druck, gegen die Verklemmten und Besserwisser nicht wehren, falls nicht die Eltern dagegen Stellung bezogen, wie meine Eltern das taten. Allerdings dauerte es noch Jahre, bis diese unterdrückende Autoritätsmentalität in Familien, Schulen, Betrieben und jetzt auch in der Kirche abklang. Noch gibt es sie allerdings hier und da.

Michael Wilmes, Ralingen-Wintersdorf

katholische kirche

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